Dtsch Med Wochenschr 1973; 98(43): 2012-2016
DOI: 10.1055/s-0028-1107179
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

»Phenacetin-Niere«

Symptomatik und Verlauf bei 53 Patienten»Phenacetin kidney«D. Höffler, B. Bittner, P. Fiegel, H. Köhler
  • I. Medizinische Klinik der Universität Mainz (Direktor: Prof. Dr. H. P. Wolff)
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
15. April 2009 (online)

Zusammenfassung

Bei 43 Frauen und 10 Männern wurde eine »Phenacetin-Niere« diagnostiziert. Voraussetzung war, daß ein minimaler Phenacetinkonsum von 1 kg und eine eindeutig nachweisbare Nierenfunktionseinschränkung vorlagen. 14 Patienten starben in der Beobachtungszeit, drei werden mit der künstlichen Niere behandelt. Die Konsumdauer betrug durchschnittlich 19Ÿ Jahre, die eingenommene Phenacetinmenge 5,8 kg. Die Hälfte der Patienten nahm die Analgetika wegen einer klassischen Migräne. Bei der Erstuntersuchung fanden sich zumeist eine Anämie, Leukozyturie, Proteinurie und Erythrozyturie. 19 Patienten berichteten über Nierenkoliken. Nur bei fünf war durch Blasenpunktion ein Harnwegsinfekt nachweisbar. In 25 Fällen wurde nach dem Röntgenbefund die Diagnose »Pyelonephritis« gestellt. Während der Verlaufsbeobachtung wurde bei 19 von 40 Patienten ein (meist leicht behandelbarer) Harnwegsinfekt gefunden. Typisch waren eine Leukozyturie ohne Keimnachweis (»sterile Leukozyturie«) und eine intermittierenden Erythrozyturie. Die Leukozyturie bestand auch nach Beendigung des Phenacetinabusus fort; sie läßt kaum prognostische Schlüsse zu. Hypertonie und Anämie waren eindeutig vom Grad der Nierenfunktionseinschränkung abhängig. Während bei Patienten mit einem Glomerulumfiltrat über 30 ml/min gewöhnlich ein Stillstand des Leidens zu erreichen war, schritt bei niedrigeren Werten das Leiden zumeist, bei Werten unter 10 ml/min immer fort. Die »Phenacetin-Niere« kann und muß durch das typische Bild als nosologische Einheit von der Pyelonephritis abgegrenzt werden. Wegen der schlechten Prognose fortgeschrittener Fälle ist die Früherkennung, die durch den praktischen Arzt erfolgen kann, entscheidend wichtig.

Summary

Phenacetin-induced renal disease was diagnosed in 43 women and 10 men. The diagnosis was based on a phenacetin intake of at least 1.0 kg and a demonstrable impairment of renal function. 14 patients died during a period of observation, three were treated by dialysis. The period during which phenacetin-containing drugs had been taken averaged almost 20 years, the amount of phenacetin intake 5.8 kg. Half the patients had taken phenacetin-containing analgesics for classical migraine. On initial examination there usually was anaemia, white and red cells in the urine and proteinuria. Renal colics had occurred in 19. Urinary infection was demonstrated in only five (by bladder puncture). The diagnosis of pyelonephritis was made in 25 after radiological studies. In the course of observation urinary infection was found in 19 of 40 patients. Leucocyturia without demonstration of micro-organisms (sterile leucocyturia) and intermittent finding of red cells in the urine were typical. Leucocyturia also persisted even after phenacetin was no longer taken and is, therefore, not of prognostic significance. Hypertension and anaemia depended definitely on the degree of renal functional impairment. While arrest of the disease was usually achieved in patients whose glomerular filtration was over 30 ml/min, the disease progressed usually in those with lower values and always in those with GFR below 10 ml/min. The poor prognosis in advanced cases makes early diagnosis of decisive importance.