Psychiatr Prax 2008; 35(8): 410-411
DOI: 10.1055/s-0028-1104635
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Sprachkritik
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Wider den Psychiatriejargon

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Publikationsdatum:
18. November 2008 (online)

 

Solche Sätze bringen mich zur Weißglut: "Der Schizophrene war massiv gestört. Er wurde auf die beschützte Station aufgenommen. Diese Woche ist er besser. Aber seine Compliance ist suboptimal. Deshalb wollen wir ihn an die Institutsambulanz anbinden."

Ärgerlich ist zum einen der spezifisch Psychiatrie-Jargon: "Ich finde, der Patient ist heute besser." Oder auch die beliebte Steigerungsform "massiv". Oder auch das postmoderne "suboptimal" als Synonym für schlecht. Aus Bequemlichkeit wird verkürzt. Nicht der Patient "ist besser", sondern z.B. sein Zustand.

Zum Glück spricht heute kaum noch jemand von "Patientengut", aber distanzierende, u.U. abwertende Begriffe schleichen sich immer wieder ein. Einen Menschen kann man nicht "anbinden", schon gar nicht ambulant. Wenn er nicht gerade fixiert oder geschlossen untergebracht ist, dann ist jeder Mensch frei zu gehen, wohin er will. Wir würden ihn vielleicht gerne "anbinden", aber es bleibt selbst bei Menschen unter gesetzlicher Betreuung die eigene Abwägung, wohin einer geht.

Das Australian and New Zealand Journal of Psychiatry hat die Personenbezeichnung "Schizophrenics" abgeschafft und fordert von seinen Autoren die humanere Bezeichnung "people with schizophrenia". Dieses Beispiel sollte Schule machen, denn Stigmatisierung äußert sich immer auch über die Sprache: Der Mensch ist nicht schizophren, er hat allenfalls die Krankheit Schizophrenie (seit DSM-III leider für den deutschen Sprachraum auch wieder die negativ konnotierte "Störung").

"Compliance" ist für mich ebenfalls ein Unwort. Nicht nur als überflüssiger Anglizismus, sondern vor allem wegen der dominierenden Wortbedeutung "sich fügen" und "nachgeben". Therapietreue oder Mitarbeit wären da hilfreicher zur Förderung der Patientenbeteiligung.

Viele Kliniken haben jetzt keine geschlossenen Stationen mehr, jedenfalls heißen sie anders, nämlich "beschützt" oder "geschützt". Wer wird da vor wem geschützt? Seien wir ehrlich: Das Hauptmerkmal dieser Stationen ist die geschlossene Tür. Für Patienten und Besucher ist es die deutlichste Eigenschaft. "Beschützt" klingt aber besser, es klingt harmloser. Schützen sollten wir unsere Patienten in jeder Station, Tagesklinik oder Praxis.

Ich plädiere für mehr Nachdenken über unsere Wortwahl, mehr Ehrlichkeit, für weniger Verharmlosung, weniger Schönfärberei und weniger Etikettierung - letztlich für bewussteren Sprachgebrauch. Dafür sprechen nicht nur ethische, sondern auch ganz praktische Überlegungen: Wir werden besser verstanden. Die Psychiatrie integriert sich umso leichter in die Gesellschaft, je mehr sie auf Fachchinesisch verzichtet.

Martin Hambrecht, Darmstadt

eMail: hambrecht.martin@eke-da.de