Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2008; 43(11/12): 770-777
DOI: 10.1055/s-0028-1104617
Fachwissen
Topthema: Lungenversagen
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Alveoläre Ventilation und Rekrutierung unter lungenprotektiver Beatmung

Alveolar ventilation and recruitment under lung protective ventilationChristian Putensen1 , Thomas Muders1 , Stefan Kreyer1 , Hermann Wrigge1
  • 1Department of Anesthesiology and Intensive Care Medicine, University of Bonn, Bonn, Germany. E–Mail: Christian.Putensen@ukb.uni-bonn.de
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Publication Date:
18 November 2008 (online)

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Zusammenfassung

Ziel der Beatmungstherapie bei ALI oder ARDS ist, einen ausreichenden Gasaustausch sicherzustellen und die erhöhte Atemarbeit zu senken, ohne die Lunge und den gesamten Patienten durch die Beatmung zusätzlich zu schädigen. Neben der Gewährleistung eines ausreichenden EELV und damit der Sicherstellung der Oxygenierung ist PEEP neben der unstrittigen Reduktion der VT auch durch die Vermeidung des zyklischen Alveolarkollapses Teil protektiver Beatmungskonzepte. Allerdings besteht augenblicklich kein Konsens darüber, ob – und um welchen Preis – eine alveoläre Rekrutierung mit hohen Beatmungsdrücken angestrebt werden sollte („open up the lung”), oder ob es wichtiger ist, die Lunge möglichst wenig mechanisch zu belasten („keep the lung closed”). Das Potenzial für alveoläre Rekrutierung unterscheidet sich einerseits von Patient zu Patient, andererseits aber auch regional innerhalb einer Lunge. Dies scheint eher von atemmechanischen Verhältnissen – vor allem der Lungen–Elastance – abzuhängen als von der zugrunde liegenden Erkrankung. Nach bisheriger Studienlage konnte kein Vorteil für die Verwendung höherer PEEP–Werte oder anderer Methoden zur alveolären Rekrutierung im Hinblick auf die Letalität von Patienten mit akutem Lungenversagen belegt werden. Dies könnte aber auch daran liegen, dass eine individuelle Optimierung des PEEP oder anderer Methoden zur alveolären Rekrutierung unter Berücksichtigung regionaler Effekte nötig ist. Sinnvoll wäre also die Verwendung von Methoden zur alveolären Rekrutierung insbesondere eines PEEP, der durch Erhöhung des EELV einen ausreichenden Gasaustausch sicherstellt und gleichzeitig die beatmungsassoziierte Lungenschädigung durch Reduktion des exspiratorischen zyklischem Alveolarkollapses (tidaler Rekrutierung) und Vermeidung der inspiratorischen Überdehnung vermindert. Dafür werden in Zukunft neue bildgebende Verfahren zur bettseitigen Anwendung zur Verfügung stehen.

Abstract

Goal of mechanical ventilation is to improve gas exchange and reduce work of breathing without contributing to further lung injury. Besides providing adequate EELV and thereby arterial oxygenation PEEP in addition to a reduction in tidal volume is required to prevent cyclic alveolar collapse and tidal recruitment and hence protective mechanical ventilation. Currently, there is no consensus if and if yes at which price alveolar recruitment with high airway pressures should be intended („open up the lung”), or if it is more important to reduce the mechanical stress and strain to the lungs as much as possible („keep the lung closed”). Potential of alveolar recruitment differs from patient to patient but also between lung regions. Potential for recruitment depends probably more on regional lung mechanics – especially on lung elastance – than on the underlying disease. Based on available data neither high PEEP nor other methods used for alveolar recruitment could demonstrate a survival benefit in patients with ARDS. These results may support an individualized titration of PEEP or other manoeuvres used for recruitment taking into consideration the regional effects. Bedside imaging techniques allowing titration of PEEP or other manoeuvres to prevent end–expiratory alveolar collapse (tidal recruitment) and inspiratory overinflation may be a promising development.

Kernaussagen

  • Ziel der Beatmungstherapie bei ALI oder ARDS ist, einen ausreichenden Gasaustausch sicherzustellen und die erhöhte Atemarbeit zu senken, ohne die Lunge und den gesamten Patienten durch die Beatmung zusätzlich zu schädigen.

  • Zu den protektiven Beatmungskonzepten gehören: die Gewährleistung eines ausreichenden endexpiratorischen Lungenvolumens, die Sicherstellung der Oxygenierung, die Reduktion des Tidalvolumens und die Vermeidung des zyklischen Kollabierens von Alveolen.

  • Umstritten ist, ob überhaupt eine alveoläre Rekrutierung z.B. mit hohen Beatmungsdrücken erfolgen soll (Open–Lung–Konzept) oder ob es wichtiger ist, die Lunge möglichst wenig mechanisch zu belasten.

  • Das Potenzial für eine alveoläre Rekrutierung ist bei jedem Patienten individuell verschieden und ist auch von der Lungenregion abhängig; dies hängt eher mit der jeweiligen Lungen–Elastance zusammen als mit der zugrunde liegenden Erkrankung.

  • Für hohe PEEP–Werte und anderen Methoden zur alveolären Rekrutierung konnte bisher kein Vorteil hinsichtlich Letalität von ARDS–Patienten gezeigt werden.

  • Die Anwendung hoher PEEP–Werte und andere Rekrutierungsmethoden sollen einen ausreichenden Gasaustausch sicherstellen (durch Erhöhung des endexpiratorischen Lungenvolumens) und beatmungsassoziierte Lungenschädigung vermindern: durch Reduktion des exspiratorischen, zyklischen Alveolarkollapses und Vermeidung der inspiratorischen Überdehnung.