Planta Med 1954; 2(4): 117-129
DOI: 10.1055/s-0028-1101792
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

CRATAEGUSWIRKSTOFFE IN DER HERZTHERAPIE

Hans Seel
Further Information

Publication History

Publication Date:
14 January 2009 (online)

Zusammenfassung

In vergleichenden klinisch–pharmakologischen Untersuchungen an einem ausgedehnten Krankengut (ca. 220 Patienten) wird gezeigt, daß die neuerdings isolierten und chemisch genauer definierten Triterpenkarbonsäuren (Oleanolsäure, Ursolsäure, Crataegolsäure) sowie einige Anthocyan– und Flavonfarbstoffe des Weißdorns qualitativ weitgehend mit den galenischen Crataeguszubereitungen in ihrer Wirkung bei Koronar– und Myokardinsuffizienz sowie bei kompensierten bzw. rekompensierten Myokardosen übereinstimmen.

Diese Hauptwirkstoffe des Weißdorns sind offenbar für eine als physiologisch anzusehende Verbesserung der Koronardurchblutung und damit einer Regularisierung und Normalisierung des Kreislaufs verantwortlich zu machen. Der pharmakotherapeutische Vorteil dieser Wirkstoffe bzw. von Crataegus ist vor allem darin zu sehen, daß sie nicht, wie die Sympathikomimetica, einen dissimilatorischen, sondern, ähnlich wie Digitalis, einen assimilatorischen Stoffwechseleffekt auslösen, die Zuckerassimilation aus dem Blut begünstigen und damit den Glykogenstoffwechsel des Herzens auf dem Wege über das Dehydrogenasesystem im Milchsäurestoffwechsel, analog wie Aneurin, vorteilhaft beeinflussen. Sie beseitigen die Hypoxämie und damit die energetische Insuffizienz des Herzmuskels und stellen somit ein physiologisches Herz–Kreislaufregulans dar. Sie stehen in ihrem pharmakologischen Effekt, wie bereits vor 20 Jahren von mir festgestellt worden ist, zwischen den Mitteln der sympathikomimetischen Reihe (Sympatol) und denjenigen der Digitalisgruppe.

Therapeutisch kommen die Crataeguswirkstoffe vor allem zur Behandlung der Koronar– und Myokardinsuffizienz auf spastischer Grundlage, in Kombination mit organisch gebundenem Jod auch auf arteriosklerotischer Grundlage, zur Nachbehandlung kompensierter Myokardosen, Mitral– und Aorteninsuffizienz, nach akuter Myokarditis usw. sowie zur Dauerbehandlung juveniler asthenischer (hypotoner) und geschädigter Altersherzen (Digitalissparer, Blutdruckregler!) in Betracht. Dekompensierte Herzklappenfehler oder Myokarderkrankungen sind dagegen keine Heilanzeigengebiete für Crataegus; ein ausgesprochen diuretischer Effekt ist nicht nachweisbar, wenngleich eine mäßige Entwässerung des Organismus nach Verabreichung von Triterpensäuren möglich zu sein scheint.