Aktuelle Urol 2009; 40(2): 85-86
DOI: 10.1055/s-0028-1098871
Editorial Comment

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Editorial Comment zu: Arsov C. et al.: Prostatakarzinomzentren/Prostatazentren –Zertifiziert von DKG und DVPZ

Editorial Comment on: Arsov C. et al.: Prostate Cancer Centres/Prostate Centres –Certification by DKG and DVPZM. Bloch
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Publication Date:
18 March 2009 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser, 

es ging in unserem Land die „Zentritis” um. Hat sie in der Zertifizierung ihr Heilmittel gefunden? Die Zahl der bereits zertifizierten Zentren bzw. derer, die sich auf dem Wege dorthin befinden, scheint dies zu bestätigen.

Das Prostatakarzinom ist häufigste Tumorerkrankung beim Mann geworden. Und im Gegensatz zu anderen Tumorentitäten findet die Diagnostik in aller Regel in einer urologischen Praxis statt. Hier hat in letzter Zeit, trotz inadäquater Honorierung durch die GKV, ein erheblicher Innovations- und Qualitätssprung stattgefunden: die ultraschallgestützte Mehrfachstanzbiopsie ist auf dem guten Wege, allgemeiner Standard zu werden. Die Versorgung dieser Tumorpatienten ist in der Fläche durch die niedergelassenen Kollegen gewährleistet.

Das Gegenteil von Versorgung in der Fläche ist die Zentrenbildung. Diesen Gegensatz gilt es zu beachten in der Bemühung – ob seitens der DKG oder des DVPZ – die Versorgung durch strukturierte Qualität zu verbessern. Zentrengebundene Patientenversorgung muss die qualifizierte, wohnortnahe fachärztliche Versorgung ergänzen, darf sie keinesfalls verdrängen. Dies gilt nicht nur für die Kollegen in der Praxis, sondern auch für die stationäre Behandlung – auch für die Häuser der Grund- und Regelversorgung, selbst für Belegabteilungen, welche in mancher Region ja einen Sicherstellungsauftrag in der stationären Versorgung wahrnehmen.

Zentrenbildung beinhaltet die Gefahr, dass durch geforderte Qualitätskriterien Ausgrenzung induziert wird. Geschieht das bewusst, ist es verwerflich, geschieht das unbewusst, so ist es mindestens fahrlässig. Können wir Urologen es uns erlauben, in gesundheitspolitisch unruhiger Zeit – in der Krankenhäuser nicht mehr nach dem Feuerwehrprinzip der unbestrittenen Notwendigkeit vorgehalten, sondern nur noch unter ökonomischen Aspekten erhalten werden – in voraueilendem Gehorsam gegenüber der teils verfehlten Politik ganze Abteilungen zur Disposition zu stellen, indem die Spitze der Versorgung an Zentren gebunden wird?

In Deutschland sind 2 800 Kollegen freiberuflich in eigener, urologischer Praxis niedergelassen. Bei über 52 000 PCa-Neuerkrankungen im Jahr und der Annahme, dass der überwiegende Teil in der Praxis diagnostiziert wird, sind es 20 Erstdiagnosen pro Praxis und Jahr. Aus einer Erhebung von Reek et al. [1] geht hervor, dass von 414 Fällen aus 5 Jahren 172 der radikalen Prostatektomie zugeführt wurden. Bei Übertragung auf das Bundesgebiet ergäbe dies über 20 000 radikale Prostatektomien pro Jahr und etwa 70 Eingriffe in jeder der etwa 300 urologischen Fachabteilungen. Da es sich natürlich nicht um eine statistische Normalverteilung handelt, hat eine definierte Mindestmenge in einem Kriterienkatalog eines Zentrums Folgen: sie führt zu einer Veränderung der Versorgungslandschaft. Dessen müssen sich DKG und DVPZ bewusst sein, und sie tragen damit auch politische Verantwortung.

Mit der Gründung der Mammazentren hat die DKG gewissermaßen subsidiär einen staatlichen Auftrag wahrgenommen. Bei der Inauguration der Prostatakrebszentren ist dies mitnichten der Fall, sie erfolgte aus eigenem Antrieb der DKG, ebenso wie bei den weiteren Organzentren. Die Intention, die Versorgung durch strukturierte Qualität zu verbessern, ist nicht infrage zu stellen. Auch ist die DKG als Disziplinen übergreifender Verein ausreichend legitimiert, ein Zertifikat zu vergeben. Aber, und ich wiederhole meine auch gegenüber der DKG geäußerte Kritik, es schadet dem Zertifikatgeber, dass er nur mit einem einzigen Zertifizierer kooperiert und keine weiteren Zertifizierungsgesellschaften akkreditiert. Zertifikatgeber und Zertifizierer müssen voneinander unabhängig sein. Ist dies nicht der Fall, so verstößt dies nicht nur gegen die Regeln des freien Marktes in unserem Lande, sondern es verliert das Zertifikat auch an Wert.

Der DVPZ wurde aus der Urologie selbst heraus gegründet. Auch ihm ist der erklärte Wille, die Versorgung durch definierte Qualitätskriterien zu verbessern, nicht abzusprechen. Mit dem Bezug auf das Organ der Prostata ist der Rahmen weiter gesteckt, hin zum Organzentrum.

In der Diskussion um die Zentrenbildung wird immer wieder die Frage gestellt, ob der DVPZ ausreichend legitimiert ist, als Zertifikatgeber aufzutreten. Ich teile diese Auffassung nicht umfassend, sehe aber das Argument, dass ein Zertifikat von einer Stelle, die möglichst unabhängig von den zu Zertifizierenden ist, vergeben werden sollte. Andernfalls haftet der überreichten Urkunde der Beigeschmack des bloßen Gütesiegels an.

Jedwede Anstrengung, die Qualität der Versorgung unserer urologischen Patienten zu verbessern, ist zu begrüßen. Folgt diese einem konsentierten, offengelegten Kriterienkatalog eines QM-Systems, kann eine solche Anstrengung mit einem Zertifikat belohnt werden. Dass es in unserem Fach Urologie 2 miteinander konkurrierende Verfahren gibt, kann man nur als misslich bezeichnen. Parallele Entwicklungen sollten schon aus Gründen des schonenden Einsatzes von Ressourcen, zumal sie nicht unerheblich aus dem Ehrenamt bereitgestellt werden, vermieden werden. Es ist daher erstrebenswert, diese beiden Konzepte der DKG zusammenzuführen. Inhaltlich sehe ich die Möglichkeit gegeben. Ob es aber gelingt, frei von persönlichen und wirtschaftlichen Interessen, einen gemeinsamen, ausreichend legitimierten Zertifikatgeber zu finden, stellt das eigentliche Problem dar.

Selbstinduzierte Konkurrenz muss vermieden werden, zumal die durch die Gesundheitspolitik fremdinduzierte groß genug ist. Bilden sich in der Klinik Zentren, antworten die Niedergelassenen mit Netzen. Möchte die Politik wissen, ob in der ambulanten oder in der krankenhausnahen Behandlung eine höhere Effizienz steckt, öffnet sie die Sektorenschranken durch den § 116 b SGB V. Konkurrenz, wenn sie einem aufgezwungen wird, begegnet man mit Kooperation. Dreh- und Angelpunkt ist die Schnittstelle der Sektoren ambulant / stationär. Die gesetzlichen Freiheiten des Zusammenarbeitens von Klinik und Praxis sind gegeben. Und es müssen wir Urologen selbst sein, hier die Zukunft der urologischen Versorgung in geübter Kollegialität zu gestalten.

Diese Gestaltung muss qualitätsgestützt erfolgen. Nicht nur sind die gesetzlichen Vorgaben bereits eindeutig, sowohl für die Praxis als für die Krankenhäuser, sondern es ist erklärter Wille der Politik durch „public disclosure” das Herstellen von Öffentlichkeit des ärztlichen Handelns, Anreize zur Qualitätssteigerung zu geben.

„Qualität ist das Erreichte im Verhältnis zum Machbaren, bezogen auf die Menge des Gewünschten” (Van Eimeren).

Das Gewünschte ist maßlos, das Erreichte oft einem selbst nicht genug, das Machbare aber immer abhängig von bereitgestellten Ressourcen. Den Gesetzgeber bekümmert dies nicht, er hat bisher nie die Bereitstellung der Mittel für die Verbesserung der Qualität in der Gesundheitsversorgung geordnet, sondern sich immer hinter dem Argument der vermeintlichen Wirtschaftlichkeitsreserven versteckt.

Der Weg der Implementierung eines QM-Systems, ob in der Klinik oder in der Praxis, bis hin zu einer Zertifizierung ist steinig. Er kostet individuellen Einsatz, Zeit, Kraft und Geld.

Es ist berechtigt zu fragen, wer stellt hierfür die Mittel zur Verfügung. Erst kommt die Sicherung der Ressourcen, erst dann die Sicherung der Qualität.

Literatur

  • 1 Reek C, Bloch M, Freese R et al. Urologische Versorgungsforschung Prostatakarzinom. Daten aus 5 urologischen Praxen in Hamburg, Vortrag Nordkongress 2007

Dr. med. M. Bloch

Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e. V.

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