Hintergrund: Patienten (Pat.) werden traditionell angewiesen, vor einer Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) über Nacht nüchtern zu bleiben, was oft, insbesondere bei spät stattfindenden Untersuchungen, ihr Wohlbefinden relevant beeinträchtigt. Unsere Hypothese war, dass akalorische Flüssigkeiten (die physiologisch rasch vom Magen entleert werden) bei einer ÖGD nicht mehr im Magen nachweisbar sind, auch wenn sie kurz vor der Untersuchung zugeführt wurden.
Methodik: Bei 172 ÖGD-Pat. wurde das Trinken akalorischer, klarer Flüssigkeiten bis 30min vor der Untersuchung freigestellt. Es wurden prospektiv detaillierte klinische Daten (einschließlich PPI-Medikation) sowie der Zeitpunkt der letzten Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr erhoben. Das Magensaft-Volumen (VOL) wurde von einem verblindeten Endoskopiker anhand einer Skala beurteilt. Ausserdem wurde der Mageninhalt vor sonstigen Maßnahmen unter Sicht möglichst vollständig aspiriert und sein VOL und pH-Wert gemessen.
Ergebnisse: Die mediane Latenz zur ÖGD betrug 16h (9,5–48h) für Nahrungs- und 4,5h (0,5–25h) für Flüssigkeitszufuhr. 78 Pat. tranken zwischen 4h und 0,5h vor ÖGD zwischen 150 und >1000ml. Das mediane aspirierte VOL betrug 8ml (0–49ml), der mediane pH war 2 (1–8,5). Laut multivariater Regressionsanalyse war nur das Alter ein unabhängiger Prädiktor des VOL (reduziert bei Älteren, R2=0,108, p<0,001), der Magen-pH wurde signifikant erhöht durch die Einnahme von PPI adjustiert für Geschlecht und Alter (R2=0,15, p<0,001). PPI beeinflussten das VOL nicht, auch nicht bei Einnahme innerhalb von 24h vor ÖGD. Der Zeitpunkt der letzten Mahlzeit oder Flüssigkeitszufuhr beeinflusste weder die Beurteilung durch den Endoskopiker noch das objektiv gemessene VOL, nicht einmal bei den Pat., die innerhalb von 0,5 bis 4h vor ÖGD noch getrunken hatten.
Schlussfolgerung: Die Forderung einer strikten 12stündigen oralen Karenz vor ÖGD lässt sich physiologisch nicht begründen und wird durch die vorliegenden Daten nicht gestützt. Sofern keine Hinweise auf eine Magenentleerungsstörung bestehen, können Pat. bis 30min vor ÖGD klare Flüssigkeit in moderaten Mengen trinken, ohne dass das intragastrale VOL erhöht bzw. die Beurteilbarkeit der Untersuchung beeinträchtigt oder die Gefahr einer Aspiration gesteigert wird.