Zeitschrift für Palliativmedizin 2008; 9 - PW_238
DOI: 10.1055/s-0028-1088474

Der Wunsch nach Lebensverkürzung bei Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose

RJ Jox 1, S Haarmann-Doetkotte 1, M Wasner 1, M Kögler 1, M Fegg 1, GD Borasio 1
  • 1Klinikum der Universität München, Interdisziplinäres Zentrum für Palliativmedizin, München

Fragestellung: Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine unheilbare, tödlich verlaufende neurodegenerative Erkrankung, die sich in Anbetracht fortschreitender Lähmungen bei weitgehend erhaltenen kognitiven Funktionen paradigmatisch dazu eignet, den Wunsch nach Lebensverkürzung genauer zu untersuchen. Ziel unserer Untersuchung war es, die Häufigkeit und die Determinanten des Wunsches nach Lebensverkürzung bei ALS-Patienten zu untersuchen. Methodik: Wir führten eine semiquantitative Fragebogenstudie mit 30 ALS-Patienten und ihren Hauptbezugspersonen durch, die in der Motoneuron-Ambulanz der LMU München palliativmedizinisch betreut wurden. Neben demographischen Daten und validierten psychometrischen Skalen (Hospital Anxiety and Depression Scale, Idler Index of Religiosity, Schedule for Meaning in Life Evaluation) wurden Fragen zur Suizidalität, zum assistierten Suizid und zur Tötung auf Verlangen gestellt. Ergebnisse: Insgesamt äußerten 37% der ALS-Patienten einen Wunsch nach Lebensverkürzung. Während die Hälfte der Patienten suizidale Gedanken hatten, wurden suizidale Pläne und tatsächliche Versuche von 24% bzw. 6% berichtet. 44% der Patienten könnten sich vorstellen, ihren Arzt um Beihilfe zum Suizid bzw. Tötung auf Verlangen zu bitten. Der Wunsch nach Lebensverkürzung korrelierte signifikant mit dem Grad der Einsamkeit sowie mit einer klinischen Depression. Die Bereitschaft, um Suizidassistenz oder Tötung auf Verlangen zu bitten, war umso größer, je geringer die Religiosität war. Lediglich 25% der Patienten hatten bereits mit jemandem über ihren Wunsch nach Lebensverkürzung gesprochen, in keinem Fall jedoch mit ihrem Arzt. Nur 9% der Angehörigen gaben an, jemals mit dem Patienten über die Möglichkeit der Lebensverkürzung geredet zu haben. Allerdings könnten sich 19% der Angehörigen vorstellen, bei einer Lebensverkürzung behilflich zu sein. Die Einstellungen von Patienten und Angehörigen waren relativ stabil über den Verlauf der Krankheit hinweg. Die Befragung wurde von den Angehörigen als leicht belastend erlebt, von den Patienten als überhaupt nicht belastend. Schlussfolgerung: Der Wunsch nach Lebensverkürzung ist auch bei palliativmedizinisch betreuten ALS-Patienten nicht selten anzutreffen. Korrelationen mit Depression und Einsamkeit verdeutlichen, wo die Herausforderungen für die palliative Betreuung liegen. Ärzte sollten das Thema mit Patienten und Angehörigen offen und empathisch ansprechen.