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DOI: 10.1055/s-0028-1088456
Futility am Lebensende aus Sicht von kurativ und palliativ tätigen Klinikern
Fragestellung: Umfragen unter Ärzte und Pflegenden zeigen, dass „futility“ am Lebensende – die Fortführung lebenserhaltender Therapie trotz fehlender Indikation – zu den größten ethischen Problemen gehört. Wir wollten wissen, wie kurativ und palliativ tätige Ärzte und Pflegende medizinische Indikation definieren, wann eine lebenserhaltende Therapie für sie sinnlos wird, wie sie diese Situation Patienten und Angehörigen kommunizieren und weshalb lebenserhaltende Maßnahmen dennoch oft fortgeführt werden. Methoden: Wir führten semistandardisierte Interviews mit 18 Ärzten und 11 Pflegenden durch, je zur Hälfte aus der Kurativ- und Palliativmedizin. Die Auswertung erfolgte mithilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse. Die Reliabilität wurde durch unabhängiges Kodieren zweier Personen erhöht. Ergebnisse: Die Definition von Indikation bereitete den meisten große Schwierigkeiten. Indikation wurde überwiegend darin gesehen, dass ein „sinnvolles“ bzw. „vernünftiges“ Therapieziel erreicht werden kann, das dem Patienten einen Nutzen in Form von Lebensrettung, Heilung oder Lebensqualität bringt, wobei dieser Nutzen gegen Risiko, Schaden und Aufwand abgewogen wird. Betont wurde, dass eine Indikation stets individuell und ganzheitlich beurteilt werden soll. Irreversible Intensivpflichtigkeit, weit fortgeschrittene Tumorleiden und extreme Notfälle wie eine Hirnmassenblutung wurden als Beispiele für „futility“ angeführt. Bei der Mitteilung einer „futility“ an Patienten und Angehörige betonten die kurativ tätigen Kliniker, dass man in Etappen über die Prognose aufklären und Zeit geben soll. Die palliativ tätigen Kliniker äußerten hingegen, dass man die Betroffenen bei deren Verständnis abholen und ihnen mit Ehrlichkeit und Empathie begegnen soll. Dass eine nicht indizierte, aussichtslose Therapie am Lebensende oft fortgeführt wird, sahen die meisten in eigenen Emotionen begründet: Trauer, Mitleid, Kränkung, Schuld- und Versagensgefühle, Hoffnung auf Wunder, Hilflosigkeit, Angst vor der Reaktion der Betroffenen und vor juristischen Konsequenzen. Auch wurde auf den Berufsethos, die Routinen des Klinikablaufs, rechtliche und palliativmedizinische Wissensdefizite sowie auf Therapieforderungen seitens der Patienten und Angehörigen hingewiesen. Schlussfolgerungen: Der Umgang mit „futility“ am Lebensende könnte durch gezieltes Kommunikationstraining, palliativmedizinische und juristische Wissensvermittlung, organisatorische Veränderungen und emotionale Unterstützung verbessert werden.