Zeitschrift für Palliativmedizin 2008; 9 - EV_006
DOI: 10.1055/s-0028-1088404

Sein und Sinn – Spirituelle Dimensionen von Heilung

C Eurich 1
  • 1Technische Universität Dortmund, Fakultät Kulturwissenschaften, Dortmund

Heilung in einem tieferen Sinne, der das rein medizinische Verständnis übersteigt, ist immer möglich, noch in der letzten Stunde des Lebens auf dieser Erde. Doch setzt dies ein angemessenes Verständnis von Spiritualität voraus. Ich möchte Spiritualität verstehen und umschreiben als gelebten Transzendenzbezug, gelebte Gottessehnsucht. Der Motor der Spiritualität ist die in wohl jedem Menschen lebende, wenn auch nur zu oft verschüttete und in der industriegesellschaftlichen Gegenwart bis zur Unkenntlichkeit verdinglichte Ursprungssehnsucht nach dem Absoluten, nach Einswerdung, Vereinigung, letzter unangreifbarer Beheimatung, Ankommen...

Im Angesicht des nahenden Todes, wenn die Strategien des Ausweichens mehr und mehr scheitern und wenn der Schein vor dem sich nähernden Wesen des Seins verblasst, nimmt die Dringlichkeit der Frage nach dem Sinn und dem Wohin zu. Jetzt helfen keine partiellen Antworten mehr, und das Heilungsverständnis verschiebt sich, entgrenzt sich hin zu einem Integral, das Leib, Geist und Seele umfasst. Das sind die Schritte vom kleinen Ich zum großen Selbst. Es sind Schritte aus der mit Individualismus und Egozentrismus immer verbundenen Verlorenheit und Einsamkeit hin zu dem Bewusstsein von der universalen Verbundenheit allen Seins, auch meines personalen Lebens. Es ist der Schritt von der Statik, die Leben zu haben glaubt, zum Fluss, der immer in Bewegung ist, immer in Veränderung, immer in Transformation und Übergang.

Heilung nun als einen auch spirituellen Prozess zu verstehen, heißt dann, sich der Größe und Erhabenheit des menschlichen Lebens bewusst zu werden – durch den Tod hindurch. Es heißt zu erfahren, dass Wirklichkeit nicht polar und dualistisch ist, sondern integral, dass es also nicht um Leben und Tod als Sein und Nichtsein, als Existenz und Nichts geht, sondern immer „nur“ um Übergänge, Transformation.

Drei Tore der Transformation unterstützen diesen Bewusstwerdungsprozess:

  • Das Tor der Sehnsucht, deren Ursprung und Ziel ich erspüre...

  • Das Tor der Zeit, die sich mir als Kairos-Zeit zu erkennen gibt, in der jeder Moment potentiell alles enthält...

  • Das Tor der Kontemplation, in der Suche und Ziel verschmelzen...

Der Gang durch diese Tore wird für den Suchenden und die ihn begleitende(n) Person(en) zur trinitarischen Wegbegleitung. Auf diesem Weg verwandelt sich die Beziehung zum Sein und zum Werden. Wir beginnen in uns selbst zu ruhen, in einem Selbst, das unsere Personenhaften Grenzen übersteigt.