Zeitschrift für Palliativmedizin 2008; 9 - EV_005
DOI: 10.1055/s-0028-1088403

Identitätswandel durch Krankheit – die Betroffenenperspektive

G Nagel 1
  • 1Männedorf, Schweiz

Thema: Schwere, existenziell bedrohliche Erkrankungen haben fast immer einen Identitätswandel des betroffenen Menschen zur Folge. Dieser Wandel geht entweder passiv oder aktiv vor sich. Passiv soll heißen, dass die neue, kritische Lebensphase als schicksalhaftes Geschehen praktisch wehrlos erduldet wird. Aktiv meint hingegen, dass eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Ziel erfolgt, Unausweichliches in das Leben zu integrieren, um den Umständen gemäß ein möglichst normales Leben zu führen. Patientenkompetenz: Von schwer erkrankten Menschen selbst stammt die folgende Definition von Patientenkompetenz: Meine Fähigkeit, mit und trotz Krankheit, Handicap oder Trauma ein normales Leben zu führen. Für den sich als gesund bezeichnenden Menschen ist diese Definition wegen des Wortes normal irritierend. Zu bedenken ist aber, dass Normalität im hier gebrauchten Sinne keinen statistischen Wert sondern die Akzeptanz der Unabänderlichkeit durch das Individuum selbst bezeichnet. Normalität: Die Akzeptanz neuer Lebensgegebenheiten, deren Integration in die Lebenskonzepte und schließlich die Aufrechterhaltung von Würde und Autonomie sind die Bedingungen des aktiven Identitätswandels. Es ist dies der Übergang von einer Normalität zur anderen. Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft versuchen in diesem Sinne ihren persönlichen Weg als aktive, kompetente Menschen zu finden. Dieser Identitätswandel wird dem modernen, emanzipierten Patienten jedoch nicht leicht gemacht. Identitätswandel – Traum oder Albtraum? Der aktive Identitätswandel des Patienten durch die Krankheit (=die zunehmende Patientenkompetenz) ist oft weniger eine Herausforderung für den Patienten selbst, als für seine Umgebung. Im tradierten Medizinsystem ist der Patient Verfügungsmasse. Aus der Betroffenenperspektive wird er immer mehr zur Steuerungsgröße. So bedingt der Identitätswandel des Patienten auch einen solchen der Medizin und zwangsläufig des Arztes selbst.