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DOI: 10.1055/s-0028-1086472
Der MOSES-Fragebogen zu Mobilität, Selbstversorgung und häuslichem Leben: Ein ICF-orientiertes Assessmentinstrument, welches in einer Patienten- und einer Behandlerversion vorliegt
Theoretischer Hintergrund: Die ICF ist gut geeignet, eine Standardisierung der Inhalte und Operationalisierungen von Assessmentverfahren zu Aktivitäten und Partizipation zu leisten und bietet die Grundlage für die Entwicklung generischer, über verschiedene diagnostische Gruppen hinweg einsetzbarer Verfahren. Bisher liegen jedoch nur wenige, methodisch elaborierte und in der Praxis einsetzbare Assessmentinstrumente vor, die unter Bezug auf die ICF entwickelt wurden und die Struktur und Inhalte des Klassifikationssystems abbilden. Im internationalen Bereich hat z.B. die Arbeitsgruppe um Stephen Haley entsprechende Arbeiten vorgelegt [6]. Andere Ansätze zur Entwicklung neuer, generischer Assessmentinstrumente, wie z.B. die amerikanische PROMIS-Initiative [7], gehen hingegen von einer Zusammenstellung bestehender Fragebögen aus, ohne die ICF als Entwicklungsraster zu nutzen. Bei der Entwicklung des MOSES-Fragebogens, der in einer Patienten- sowie einer Behandlerversion vorliegt [2, 4, 5], wurden unter direktem Bezug auf die Inhalte der drei- und vierstelligen Kategorien der ICF Fragebogenitems erstellt und einer umfassenden psychometrischen Prüfung unterzogen Die Entwicklung des MOSES-Fragebogens stellt ein Entwicklungsprojekt im Rahmen des Qualitätssicherungsprogramms der Gesetzlichen Krankenkassen in der medizinischen Rehabilitation („QS-Reha-Verfahren“, siehe www.qs-reha.de) dar und wurde von den Spitzenverbänden der Gesetzlichen Krankenkassen finanziell gefördert. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf praktische Aspekte der Anwendung des MOSES-Fragebogens. Methodik der Entwicklung: Die Durchsicht der ICF-Kategorien in den Kapiteln Mobilität, Selbstversorgung und Häusliches Leben führte zu einer ersten, patientenseitigen Version des MOSES-Fragebogens, die insgesamt 95 Fragen enthielt [2]. Bezüglich der Ableitung der konkreten Fragen aus den ICF-Kategorien erfolgte eine Abstimmung zwischen zwei Beurteilern, bei der die Kongruenz der Ergebnisse geprüft und Diskrepanzen diskutiert wurden. Auf der Basis von Item-Response-Modellen (vgl. Hays et al. 2000) wurden psychometrische Analysen durchgeführt, die zu einer reduzierten Version des Fragebogens (MOSES-Patient) mit 58 Items führten, die den methodischen Anforderungen des Rasch-Modells genügt und gute bis sehr gute Gütekriterien aufweist. Die Behandler-Version (MOSES-Behandler) entstand durch die Überführung des Selbstbeurteilungsverfahrens MOSES-Patient ohne inhaltliche Veränderungen in ein Fremdbeurteilungsformat. Das so entstandene Instrument MOSES-Behandler wurde ebenfalls einer psychometrischen Prüfung unterzogen [2]. Informationen zur praktischen Anwendung: Die Instrumente MOSES-Patient und MOSES-Behandler sind in digitaler Form kostenfrei über ein Anforderungsblatt auf der Website www.aqms.de erhältlich. Aufgrund ihres generischen Konstruktionsprinzips sind sie unabhängig vom Vorliegen bestimmter Grunderkrankungen immer dann einsetzbar, wenn eine Messung der Beeinträchtigung von Mobilität und Selbstversorgung erfolgen soll. Daten, die in verschiedenen Indikationen (z.B. Kardiologie, Neurologie) gewonnen wurden, sollten jedoch nicht zusammengeführt werden, da die Itemschwierigkeiten je nach Indikation variieren. Durch die direkte Zuordenbarkeit aller Items und Skalen zu ICF-Kategorien [5] besteht die Möglichkeit eines ICF-bezogenen Assessments. Die Messgenauigkeit ist am höchsten in dem Bereich, in dem üblicherweise die Beeinträchtigungen von Patienten der medizinischen Rehabilitation liegen, d.h. für Personen der Normalbevölkerung oder für Personen mit sehr geringer Beeinträchtigung ist das Instrument weniger gut einsetzbar. Da die Änderungssensitivität des MOSES-Bogens belegt wurde, ist das Verfahren insbesondere auch für die Outcome-Messung und Therapieevaluation sehr gut geeignet. Die Patienten benötigen zur Bearbeitung des MOSES-Patient im Mittel ca. 15 Minuten, wobei sich die Bearbeitungsdauer aufgrund des adaptiven Konstruktionsprinzips, welches Sprungbefehle beinhaltet, für wenig beeinträchtigte Patienten um bis zu 40% reduziert. Die Bearbeitungsdauer des MOSES-Behandler kann ähnlich veranschlagt werden. Der MOSES-Fragebogen wird von den Patienten akzeptiert: 52,9% der Patienten bewerten das Ausfüllen als „anregend, aufschlussreich“, nur 4,7% als „richtig unangenehm“. Da die Skalen des MOSES-Fragebogens unabhängig voneinander entwickelt wurden, können Skalen, die bei bestimmten Patienten keine Relevanz haben (z.B. zum Hand- und Armgebrauch bei Patienten, die nur Schädigungen bzw. Funktionsstörungen in den unteren Extremitäten aufweisen) komplett ausgelassen werden, wodurch sich die Bearbeitungszeit weiter reduziert. Weiterentwicklung: Zur Zeit wird an einer Fragebogenversion „MOSES-Combi“ gearbeitet. Dieses Instrument soll aufgrund seiner messtheoretischen Eigenschaften in der Lage sein, Einschränkungen von Mobilität und Selbstversorgung, unabhängig davon ob der Patient und/oder der Behandler sie einschätzt, auf einer Skala abzubilden. Damit können Daten von Patienten, die selbst ein Urteil abgeben können, mit Daten von Patienten, für die lediglich eine Behandlereinschätzung vorliegt, zusammengeführt werden.
Literatur:
[1] Farin E. Patientenorientierung und ICF-Bezug als Herausforderungen für die Ergebnismessung in der Rehabilitation. Rehabilitation 2008; 47: 67–76
[2] Farin E, Fleitz A. MOSES-Fragebogen (ICF-orientierter, adaptiver Fragebogen zur Erfassung von Mobilität und Selbstversorgung). In: Bengel J, Wirtz M, Zwingmann C (Hrsg). Kompendium: Diagnostische Verfahren in der Rehabilitation. Göttingen: Hogrefe. 2008: 375–377
[3] Farin E, Fleitz A. The development of an ICF-oriented, adaptive physician assessment instrument of mobility, self care, and domestic life. International Journal of Rehabilitation Research -im Druck
[4] Farin E, Fleitz A, Frey C. Psychometric properties of an ICF-oriented, adaptive questionnaire for the assessment of mobility, self care and domestic life. Journal of Rehabilitation Medicine 2007; 39: 537–546
[5] Farin E, Fleitz A, Follert P. Entwicklung eines ICF-orientierten Patientenfragebogens zur Erfassung von Mobilität und Selbstversorgung. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2006; 16: 197–211
[6] Haley SM, Coster WJ, Andres PL, Ludlow LH, Pengsheg N, Bond TLY, Sinclair SJ, Jette AM. Activity Outcome Measurement for Postacute Care. Medical Care 2004; 42: I-49-I-61
[7] Rose M, Bjorner JB, Becker J, Fries JF, Ware JE. Evaluation of a preliminary physical function item bank supported the expected advantages of the Patient-Reported Outcomes Measurement Information System (PROMIS). Journal of Clinical Epidemiology 2008; 61: 17–33