Gesundheitswesen 2008; 70 - A194
DOI: 10.1055/s-0028-1086419

Nutzersicht sozial benachteiligter Mütter auf kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen sowie Angebote der Frühförderung und frühen Hilfen

R Geene 1, N Wolf-Kühn 2
  • 1Kindliche Entwicklung und Gesundheit, Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften, Hochschule Magdeburg-Stendal, Stendal
  • 2Sozialmedizin, Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften, Hochschule Magdeburg-Stendal, Stendal

In der Diskussion um Kinderschutz und Kindergesundheit wird den Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt eine Schlüsselrolle zugeschrieben. Inzwischen zahlen die Krankenkassen eine weitere, zehnte Untersuchung, das Bundesland Saarland hat sogar eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung eingeführt. Auf der anderen Seite gibt es in der fachlichen Diskussion um frühe Hilfen einen breiten Konsens zur Stärkung der primären Sozialisationsinstanz Familie durch Förderung elterlicher Intuition und Unterstützung bei der Formulierung und Realisierung eigener Erziehungsziele. In einer Vorstudie an der Hochschule Magdeburg-Stendal haben wir junge Mütter mit unterschiedlichem sozialen Hintergründen nach ihren Erfahrungen mit den „Us“ befragt. Dabei konnten wir feststellen, dass auch sozial benachteiligte Mütter verstärkt diese Untersuchungen wahrnehmen und sie auch in besonderem Maße als Bestätigung empfinden. Wir vermuten daher, dass sich auf dem Hintergrund der aktuellen öffentlichen Diskussion die Minderinanspruchnahme durch sozial Benachteiligte rückläufig entwickelt. Tatsächlich lässt sich bei den von uns befragten benachteiligten Müttern sogar eine Priorisierung feststellen dahingehend, dass die Maßnahmen desto stärker wahrgenommen werden, je weiter sie von der eigenen sozialen Situation entfernt sind: gute Beurteilungen bei sozial Benachteiligten erfährt gerade auch die RTL-Sendung „Die Super-Nanny“, gefolgt von kinderärztlichen und kinderpflegerischen Leistungen, während Hebammenleistungen, frühe Hilfen, Müttertreffs u.ä. Selbsthilfeangebote und insbesondere Maßnahmen von Gesundheits- oder Jugendämtern mit großer Skepsis begegnet wird. In der Motivanalyse konnten wir die Hypothese herausarbeiten, dass gerade die starke Abstraktion die kinderärztlichen Untersuchungen leicht konsumierbar macht. Ein positiver Impuls zur Bewältigung der Schwierigkeiten sozial benachteiligter Elternschaften kann in unserer Vorstudie nicht festgestellt werden. Die Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten finden kaum Beachtung. Wir vermuten vielmehr, dass mit den „Us“ ein weiterer Schritt hinsichtlich eines problematischen Prozesses beigesteuert wird, den wir als Entfremdung und Enteignung der eigenen Elternschaft bezeichnen.

Literatur:

[1] Wolf-Kühn N, Geene R. Frühförderung und frühe Hilfen. Erscheint in: Geene R, Gold C, Pospiech S (Hrsg). Kinderarmut und Kindergesundheit. Bern: Huber