Gesundheitswesen 2008; 70 - A193
DOI: 10.1055/s-0028-1086418

Entwicklungsauffälligkeiten bei Schulanfängern im Kontext sozialer Einflussgrößen

W Werse 1, I Dietmair 1, K Simon 1
  • 1Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW, Bielefeld

Einleitung/Hintergrund: Damit Kinder durch vermittelte Kulturtechniken lernen können, müssen sie über bestimmte Grundfähigkeiten verfügen. Hierzu gehören die motorische Koordination, umfassende Wahrnehmungsfähigkeiten mit den Möglichkeiten zu deren adäquater Umsetzung sowie eine entsprechende Sprach- und Sprechfähigkeit. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten ist auch von der sozialen Lebenslage der Kinder abhängig. Material/Methoden: In Nordrhein-Westfalen steht mit S-ENS (Screening des Entwicklungsstandes bei Einschulungsuntersuchungen) ein standardisiertes und validiertes ärztliches Untersuchungsinstrument für die Einschulungsuntersuchungen zur Verfügung, das den Entwicklungsstand von Schulanfängern erfasst: Körperkoordination, Visuomotorik, visuelle Wahrnehmung und Informationsverarbeitung sowie Sprachkompetenz und auditive Informationsverarbeitung. Seit Beginn der Untersuchungen für den Einschulungsjahrgang 2006 kommt ein standardisierter Fragebogen zur Sozialanamnese zum Einsatz. Er beinhaltet neben Fragen zur beruflichen und schulischen Bildung der Eltern, Fragen zur Berufstätigkeit und Lebenssituation. Aus diesen Informationen wird auf Grundlage der Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Epidemiologische Methoden“ der DAE, der GMDS und der DGSMP ein Bildungsindex ermittelt. Mit S-ENS und dem Fragebogen zur Sozialanamnese stehen in Nordrhein-Westfalen Instrumente zur Verfügung, die zuverlässige Aussagen zum Einfluss sozialer Faktoren auf den Entwicklungsstand von Einschülern ermöglichen. Ergebnisse: Auffälligkeiten der Körperkoordination und Sprach- und Sprechfähigkeit sind bei Kindern mit niedrigem Sozialstatus doppelt so häufig wie bei Kindern mit hohem Sozialstatus. Bei der Überprüfung der Visuomotorik und der visuellen Wahrnehmung fallen die Unterschiede noch deutlicher aus: In beiden Merkmalsbereichen sind Kinder aus der untersten Bildungsschicht vier bis fünf mal so häufig von Auffälligkeiten betroffen wie Kinder aus der obersten Bildungsschicht. Anhand der Daten lässt sich zeigen, dass Kinder mit niedrigem Sozialstatus weniger häufig wegen ihrer Entwicklungsauffälligkeit ärztlich behandelt werden als andere Kinder. Diskussion/Schlussfolgerung: Die Ergebnisse zeigen, dass Entwicklungsverzögerungen deutlich durch soziale Faktoren beeinflusst werden. Ob ein Kind mit Entwicklungsverzögerungen eine notwendige ärztliche Behandlung erfährt, scheint ebenfalls abhängig von der sozialen Lage des Kindes zu sein. Aufgabe der Gesundheitsberichterstattung wird es sein, diese Sachverhalte – auch auf kommunaler Ebene – aufzuzeigen und geeignete Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Literatur:

[1] Arbeitsgruppe „Epidemiologische Methoden“ der DAE, der GMDS und der DGSMP. Messung und Quantifizierung soziodemografischer Merkmale in epidemiologischen Studien. www.rki.de Screening des Entwicklungsstandes

[2] LampertT, Schenk L, Stolzenberg H. Konzeptualisierung und Operationalisierung sozialer Ungleichheit im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey. Das Gesundheitswesen 2002; 1/64: 550

[3] S-ENS Screening des Entwicklungsstandes bei Einschulungsuntersuchungen. Manual 1und 2

[4] Klocke A, Lampert T. Armut bei Kindern und Jugendlichen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft 4. Robert Koch-Institut Berlin, 2005