Gesundheitswesen 2008; 70 - A140
DOI: 10.1055/s-0028-1086365

Die richterliche Akzeptanz von besonderen Anforderungsprofilen für die Sozialmedizinische Begutachtung bei der Ermittlung von Berufsunfähigkeit und Erwerbsminderung

A Glatz 1, T Gerlinger 2, A Weber 1
  • 1Institut für Qualitätssicherug in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln
  • 2Institut für Medizinische Soziologie, Fachbereich Humanmedizin, Johann-Wolfgang-Goethe- Universität Frankfurt/M

Hintergrund und Ziel: Die sozialmedizinische Rentenbegutachtung in den Feldern „Berufsunfähigkeitsermittlung“ (BU) und „Erwerbsminderungsermittlung“ (EM) ist vor allem in Bezug auf das jeweils zugrundegelegte Anforderungsprofil verbesserungswürdig beziehungsweise problematisch. Vor diesem Hintergrund erstens sowie dem Wandel der Anforderungen des Arbeitsmarktes zweitens und dem Wandel der demographischen Alterung drittens werden Änderungen der Begutachtung vorgeschlagen. Sie zielen darauf, in beiden oben genannten Feldern besondere Anforderungsprofile zum einen in Bezug auf Berufe und zum anderen hinsichtlich leichter Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes einzusetzen. Die Einbeziehung solcher Sammlungen von besonderen Anforderungsprofilen könnte nach §106 Sozialgerichtsgesetz richterlicherseits angeordnet werden. Ziel der Untersuchung ist die Ermittlung der richterlichen Akzeptanz des Einsatzes von derartigen Anforderungsprofilen. Methoden: Im Zuge einer Vollerhebung wurden diese Vorschläge allen entsprechend befassten Richter/innen der deutschen Sozialgerichtsbarkeit (N=697) schriftlich übermittelt und deren Akzeptanz quantitativ erhoben. Zudem wurde eine qualitative Delphi-Befragung nachgeschaltet. Ergebnisse: Die quantitative Akzeptanzerhebung ergab (n=109) für beide Vorschläge – d.h. hinsichtlich BU in 77,1% bzw. 72,0% und hinsichtlich EM in 67,9% mehrheitliche richterliche Zustimmung. Außerdem zeigt die qualitative Delphi-Befragung anhand freitextlicher richterlicher Kommentare verschiedene Akzeptanzbedingungen, offene Fragen, Hinweise auf einen Kostenvorteil und mehrere qualitative Gewinne, insb. an Erkenntnis, Nachvollziehbarkeit, Gleichbehandlung und nicht zuletzt an Rechtsfrieden. Schlussfolgerungen: Die Akzeptanz von besonderen Anforderungsprofilen ist mehrheitlich gegeben. Im Zuge einer breiten Fachdiskussion sollten offene Fragen und Bedingungen diskutiert werden und die Ausarbeitung von Sammlungen besonderer Anforderungsprofile begonnen werden.

Literatur:

[1] Gagel A, Schian HM. Entscheidung des Bundessozialgerichts zum Verhältnis von Diagnose und Leistungsbeurteilung. Diskussionsforum Teilhabe und Prävention. iBeitrag C-9/2003; www.iqpr.de

[2] Glatz A. Assessment in der medizinischen Begutachtung – Vorstellung der Verfahren. Med Sach 2008; 104– im Druck

[3] Glatz A, Schian HM. IMBA Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt. In: Bengel H, Wirtz M, Zwingmann C (Hrsg). Diagnostische Verfahren in der Rehabilitation – Verfahren zum krankheitsübergreifenden Einsatz ausgewählter Indikationsgebiete Hogrefe-Verlag, 2008

[4] Glatz A, Anneken V, Heipertz W, Schian HM, Weber A. Zur ärztlichen Beurteilung arbeitsbezogener körperlicher Leistungsfähigkeit anhand des FCE-Assessments ERGOS® Work Simulator. Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin 2007; 2: 56–63

[5] Glatz A, Anneken V, Heipertz W, Weber A, Kraus T. Die Ermittlung der Arbeitsbelastungskategorie – standardisierte Selbstauskunft und Messung im Vergleich. Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin 2007; 42: 109

[6] Glatz A, Zimmermann M, Heipertz W, Kraus T, Weber A. Diagnose- und anforderungsbezogenes Vorgehen bei der aktivitätsdiagnostisch basierten Ermittlung der arbeitsbezogenen körperlichen Leistungsfähigkeit. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2008– im Druck