Gesundheitswesen 2008; 70(10): 582-589
DOI: 10.1055/s-0028-1086014
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Soziale Ungleichheit in der medizinischen Rehabilitation

Social Inequality in Medical RehabilitationR. Deck 1
  • 1Institut für Sozialmedizin der Universität zu Lübeck
Further Information

Publication History

Publication Date:
17 October 2008 (online)

Zusammenfassung

Die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit bzw. Krankheit sind bekannt und gelten als gesichert. Zahlreiche Studien haben bisher gezeigt, dass eine niedrigere Sozialschicht mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden ist. Hierfür sind unterschiedliche Ursachen verantwortlich, sie beinhalten ungünstige Lebensumstände, ungesunde Verhaltensweisen und Risikofaktoren und schließlich schichtspezifische Zugänge zur medizinischen Versorgung. Die genannten Aspekte stehen in Wechselwirkung, in jedem Fall finden sie ihren Niederschlag in einer erhöhten Krankheitsprävalenz und geringerer Lebensqualität bei Personen unterer Sozialschichten. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage nach dem Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und medizinischer Rehabilitation, ein Thema, das in der Ungleichheitsforschung nur selten aufgegriffen wurde. Anhand der Daten von 911 Rehabilitationspatienten wird der Frage nachgegangen, ob hinsichtlich der Inanspruchnahme der medizinischen Rehabilitation, der rehabilitativen Versorgung, des Rehabilitationserfolgs und der Zufriedenheit mit der Reha-Maßnahme schichtspezifische Unterschiede bestehen. Hierfür wurde aus den Merkmalen Schule, Beruf und Einkommen ein Schichtindex gebildet anhand dessen die Rehabilitanden der Unter-, Mittel- oder Oberschicht zugeordnet werden können. Die vorliegenden Daten zeigen, dass sich vorliegende Erkenntnisse der Ungleichheitsforschung auch für den Bereich der medizinischen Rehabilitation bestätigen lassen. Patienten der Unterschicht kommen mit schlechterem Gesundheitszustand in die Rehabilitation und verlassen diese auch mit ungünstigeren Befunden als Patienten höherer Sozialschichten. Hinsichtlich der tatsächlichen Veränderungen während der Reha-Maßnahme profitieren allerdings die Patienten der Mittelschicht am wenigsten. Gezielte Patientenvorbereitung und auf spezifische Lebenslagen ausgerichtete Nachsorgemaßnahmen könnten vermutlich die Nachteile, die aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialschicht entstehen, abmildern.

Abstract

The association of social inequality and health is well known and well documented. Numerous studies have shown that a lower socio-economic status is associated with higher morbidity and mortality. This association is caused by various circumstances such as unfavourable work and living conditions, unhealthy life styles and risk factors and, last but not least, the access to medical care depending on socio-economic status. These aspects are correlated in various ways, at any rate they cause a higher prevalence of diseases and lower quality of life in persons with lower socio-economic status. The present article discusses the association between social inequality and medical rehabilitation, a problem which is rarely investigated in present research on social inequality and health. In our study, 911 rehabilitation patients were included. Analyses of socio-economic differences with respect to rehabilitation care address the following questions: are there differences in access to medical rehabilitation, in rehabilitation care, with respect to success of rehabilitation and satisfaction with rehabilitation? To assign patients to a social class − lower, middle and upper class − we constructed an indicator of social status based on education, occupation and income level. Our findings in a sample of rehabilitation patients are in line with the results of existing research on social inequality and health. Patients from the lower social class enter the rehabilitation care system with a poorer health state and leave it with less favourable results than patients with higher social status. However, with regard to the effect of rehabilitation care, middle class patients benefit least. It can be speculated that systematic information of patients about the aims of the rehabilitation programme and specific after care focusing on relevant aspects of daily living may reduce the disadvantages of lower class patients.

Literatur

  • 1 Rosenbrock R. Gesundheitliche Ungleichheit in Deutschland.  Forum Public Health. 2008;  16 2-4
  • 2 Weyers S. Gesundheitliche Ungleichheit im europäischen Vergleich.  Forum Public Health. 2008;  16 6-7
  • 3 Jungbauer-Gans M. Sozialstrukturelle und kulturelle Einflüsse auf Krankheit und Gesundheit. In: Wendt C, Wolf C, Hrsg. Soziologie der Gesundheit. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 2006: 86-108
  • 4 Kelly MP, Morgan A, Bonnefoy J. et al .The social determinants of health: Developing an evidence base for political action. Abschlussbericht der Kommission “Soziale Determinanten von Gesundheit”. Universidad del Desarrollo, Chile, National Institute for Health and Clinical Excellence, United Kingdom 2007
  • 5 Mielck A. Soziale Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland.  Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitschutz. 2008;  51 345-352
  • 6 Hradil S. Soziale Ungleichheit in Deutschland. Opladen: Leske & Budrich 2001
  • 7 Lenhardt U, Elkeles T, Rosenbrock R. Betriebsproblem Rückenschmerz. Weinheim, Juventa 2002
  • 8 Siegrist J, Möller-Leimkühler AM. Gesellschaftliche Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit. In: Schwartz FW, Hrsg. Das Public Health Buch. München, Jena, Urban & Fischer 2003: 125-138
  • 9 Oppolzer A. Die Arbeitswelt als Ursache gesundheitlicher Ungleichheit. In: Mielck A, Hrsg. Krankheit und soziale Ungleichheit. Opladen: Leske & Budrich 1993: 125-166
  • 10 Bittlingmayer UH, Sahrai D. Gesundheitsverhalten und gesundheitliche Ungleichheit – Einige politisch motivierte Hinweise.  Forum Public Health. 2008;  16 15-16
  • 11 Kirschner W, Meinlschmidt G. Gesundheitliche Risikoexposition, Gesundheitsverhalten und subjektive Morbidität von West- und Ostberlinern insgesamt und nach sozialer Schichtzugehörigkeit. In: Mielck A, Hrsg. Krankheit und soziale Ungleichheit. Opladen: Leske & Budrich 1993: 253-266
  • 12 Mackenbach JP. Health Inequalities: Europe in Profile. Forschungsbericht. Erasmus Universität Rotterdam 2006
  • 13 Nocon M, Keil T, Willich SN. Education, income, occupational status and health risk behaviour.  J Public Health. 2007;  15 401-405
  • 14 Helmert U. Sozialschichtspezifische Unterschiede in der selbst wahrgenommenen Morbidität und bei ausgewählten gesundheitsbezogenen Indikatoren in West-Deutschland. In: Mielck A, Hrsg. Krankheit und soziale Ungleichheit. Opladen: Leske & Budrich 1993: 187-208
  • 15 Steinhausen S, Kowalski C, Janßem C. et al . Wechselwirkung zwischen sozialer Lage und gesundheitlicher Ungleichheit und Gesundheitsversorgung.  Forum Public Health. 2008;  16 13-14
  • 16 Bergmann E, Kamtsiuris P. Inanspruchnahme medizinischer Leistun-gen.  Gesundheitswesen. 1999;  61 S138-S144
  • 17 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Kooperation und Verantwortung- Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung. 2007;  650-678
  • 18 Lampert T. Schichtspezifische Unterschiede im Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten. Blaue Reihe Berliner Zentrum Public Health 2005
  • 19 Janßen C, Grosse Frie K, Ommen O. Der Einfluss von sozialer Ungleichheit auf die medizinische und gesundheitsbezogene Versorgung in Deutschland. In: Richter M, Hurrelmann K, Hrsg. Gesundheitliche Ungleichheit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006: 141-155
  • 20 Mielck A, Brenner H. Soziale Ungleichheit bei der Teilnahme an Krebsfrüherkennungs-Untersuchungen in West-Deutschland und Großbritannien. In: Mielck A, Hrsg. Krankheit und soziale Ungleichheit. Opladen: Leske & Budrich 1999: 299-318
  • 21 Sperlich S, Mielck A. Entwicklung eines Mehrebenenmodells für die Systematisierung sozialepidemiologischer Erklärungsansätze. In: Helmert U, Bammann K, Voges W, Müller R, Hrsg. Müssen Arme früher sterben?. Weinheim: Juventa 2000: 27-42
  • 22 Mielck A, Jansen C. Ein Modell zur Erklärung der gesundheitlichen Ungleichheit.  Forum Public Health. 2008;  16 4-5
  • 23 Richter M, Hurrelmann K. Warum die gesellschaftlichen Verhältnisse krank machen.  APuZ. 2007;  42 3-10
  • 24 Altenhöner T. Soziale Ungleichheit in der kradiologischen Rehabilitation. Lage, Verlag Hans Jacobs 2006
  • 25 Grande G, Romppel M, Leppin A. Soziale Ungleichheit und rehabilitative Versorgung nach Herzinfarkt in Deutschland.  DRV-Schriften. 2003;  40 111-112
  • 26 Grande G, Romppel M. Soziale Ungleichheit in der Rehabilitation nach Herzinfarkt in Deutschland?. In: Arbeitskreis Klinische Psychologie in der Rehabilitation – Fachgruppe der Sektion Klinische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) e. V. Hrsg. Rehabilitation und sozialer Kontext – Psychologische Konzepte für Klinik und Nachsorge. Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn 2003: 50-72
  • 27 Altenhöner T, Leppin A, Grande G. et al . Social inequality in patient's physical and psychological state and participation in rehabilitation after myocardial infarction.  International Journal of Rehabilitation Research. 2005;  28 ((3)) 251-257
  • 28 Altenhöner T, Leppin A. Ungleichheiten in der therapeutischen Versorgung von Herzinfarktpatienten.  DRV-Schriften. 2006;  64 395-396
  • 29 Bürger W, Morfeld M. Gibt es schichtspezifische Benachteiligungen bei der Inanspruchnahme von medizinischen Reha-Maßnahmen?.  Rehabilitation. 1999;  38,2 134-141
  • 30 Beck L, Merkesdal S, Buche T. et al . Inanspruchnahme von Nachsorge-Maßnahmen nach ambulanter orthopädischer Rehabilitation.  DRV-Schriften. 2004;  59 169-170
  • 31 Kobelt A, Wasmus A, Grosch EV. et al . Warum treten Versicherte ein bewilligtes medizinisches Heilverfahren nicht an?.  DRV-Schriften. 2005;  59 141-142
  • 32 Deck R. Erwartungen und Motivationen in der medizinischen Rehabilitation. Ihre sozialmedizinische und gesundheitspolitische Bedeutung für den Rehabilitationserfolg. Lage, Hans Jacobs 1999
  • 33 Hofreuter K, Koch U, Morfeld M. Die Bedeutung sozialer Ungleichheit als Prädiktor für die berufliche Wiedereingliederung von chronischen Rückenschmerzpatienten nach medizinischer Rehabilitation.  Gesundheitswesen. 2008;  70 145-153
  • 34 Kohler M, Ziese T. Telefonischer Gesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts zu chronischen Krankheiten und ihren Bedingungen. Deskriptiver Ergebnisbericht. Robert-Koch-Institut, Berlin 2004
  • 35 Ellert U, Wirz J, Ziese T. Telefonischer Gesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts (2. Welle). Deskriptiver Ergebnisbericht. Robert-Koch-Institut, Berlin 2006
  • 36 Deck R, Raspe H. Regionale Qualitätssicherung in der medizinischen Rehabilitation. Qualitätsgemeinschaft medizinische Rehabilitation in Schleswig-Holstein – Initiative und Erprobung.  Rehabilitation. 2006;  45 146-151
  • 37 Bullinger M, Kirchberger I. Der SF-36 Fragebogen zum Gesundheitszustand. Hogrefe: Göttingen 1998
  • 38 Kohlmann T, Raspe H. Der Funktionsfragebogen Hannover zur alltagsnahen Diagnostik der Funktionsbeeinträchtigung durch Rückenschmerzen (FFbH-R).  Rehabilitation. 1996;  35 I-VIII
  • 39 Flor H, Turk DC. Rheumatoid arthritis and back pain: Predicting pain and disability from cognitive variables.  J Behav Med. 1988;  11 251-265
  • 40 Deck R, Muche-Borowski C, Mittag O. et al .IMET. Index zur Messung von Einschränkungen der Teilhabe. In: Bengel J, Wirtz M, Zwingmann C, Hrsg. Diagnostische Verfahren in der Rehabilitation. Göttingen u. a., Hogrefe 2008: 372-374
  • 41 Deck R, Zimmermann M, Raspe H. FREM-17. Fragebogen zur Messung rehabilitationsbezogener Erwartungen und Motivationen. In: Bengel J, Wirtz M, Zwingmann C, Hrsg. Diagnostische Verfahren in der Rehabilitation. Göttingen u. a., Hogrefe 2008: 98-100
  • 42 http://www.deutsche-rentenversicherung-bund.de/nn_15814/SharedDocs/de/Inhalt/Zielgruppen/01__sozialmedizin__forschung/02__qualitaetssicherung/dateianh_C3_A4nge/g6947__patientenfragebogen__somatisch,templateid=raw,property=publicationfile.pdf/g6947_patientenfragebogen_somatisch , zuletzt aufgerufen Juni 2008
  • 43 Scheuch E. Sozialprestige und soziale Schichtung.  Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 1970;  11–12 670-682
  • 44 Hradil S. Soziale Ungleichheit in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005
  • 45 Burzan N. Soziale Ungleichheit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007
  • 46 Deck R, Röckelein E. Zur Erhebung soziodemographischer und sozialmedizinischer Indikatoren in den rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbünden.  DRV-Schriften. 1999;  16 81-102
  • 47 Leonhart R. Effektgrößenberechnungen bei Interventionsstudien.  Rehabilitation. 2004;  43 241-246

1 Im vorliegenden Text wurden soweit möglich neutrale Personenbezeichnungen verwendet, ansonsten wurde jeweils die männliche Form angewandt. Dies erfolgte ausschließlich zur Verbesserung der Lesbarkeit.

Korrespondenzadresse

Dr. R. Deck

Institut für Sozialmedizin

Universität Lübeck

Beckergrube 43–47

23552 Lübeck

Email: ruth.deck@uk-sh.de