Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(33): 1698-1699
DOI: 10.1055/s-0028-1082790
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Leserbriefe
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Passive Sterbehilfe in der Praxis

K. Engelhardt
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Publication Date:
06 August 2008 (online)

Zu dem Beitrag in der DMW 20/2008

Am 16. Mai 2008 ist in der DMW der interessante Artikel „Passive Sterbehilfe in der Praxis – die ärztliche Entscheidung im Spiegel der Rechtslage” von T. Möller, B. Grabensee und H. Frister erschienen [4]. Er ist sehr aufschlussreich und stellt einen wichtigen Beitrag zur medizinischen Ethik dar. Die Rechtslage erlaubt eine Behandlungsbegrenzung (Passive Euthanasie, bzw. Sterbehilfe) am Ende des Lebens, wenn lebensverlängernde Intensivmaßnahmen, z. B. die mechanische Ventilation sinnlos sind und den Sterbeprozess verlängern. Die Ergebnisse der Autoren zeigen, dass die Praxis anders aussieht: Nur 21,1 % der befragten Ärzte hätten sich z. B. für einen Abbruch medizinisch nicht indizierter Interventionen entschieden. Es sollte diskutiert werden, schreiben die Autoren mit Recht, „welche nicht medizinischen Erwägungen für die Beurteilung der Indikation lebenserhaltender Maßnahmen herangezogen werden dürfen”. Dazu heißt es in einem bekannten Lehrbuch der klinischen Ethik [3], dass schwierige und kontroverse Entscheidungen nach 4 Kriterien zu analysieren sind: der medizinischen Indikation, den Patientenpräferenzen (Selbstbestimmung), der zu erwartenden Lebensqualität und der sozialen und religiösen Kontextfaktoren (z. B. Verweigerung einer Bluttransfusion durch „Jehovas Zeugen”).

Es ist daher besorgniserregend, von den Autoren zu erfahren, dass 71,7 % der Befragten auch gegen den Willen des Patienten lebensverlängernd intervenieren würden, wenn sie eine medizinische Notwendigkeit sehen.

Welche Folgerungen sind aus den Ergebnissen dieser Arbeit zu ziehen?

  • Erstens sollte in der naturwissenschaftlich-technischen Ära der Medizin die Ethik in der Ausbildung der Ärzte einen höheren Stellenwert als bisher erhalten.

  • Zweitens lassen Ärzte am Lebensende von Intensivmaßnahmen oft deshalb nicht ab, auch wenn sie sinnlos sind und den Wünschen der Patienten nicht entsprechen, weil sie Nichtgabe oder Entzug invasiver Prozeduren, also passive Euthanasie, mit aktiver Euthanasie verwechseln [2] . Von juristischer Seite [6] ist der Begriff passive Euthanasie als irreführend bezeichnet worden. Sollte nicht wegen der Konnotation des Wortes passive Euthanasie, das emotionell und historisch mit der freiwilligen und unfreiwilligen aktiven Euthanasie verbunden ist, besser von Behandlungsbegrenzung gesprochen werden?

  • Drittens: Die Autoren schlagen für schwierige Entscheidungen ein klinisches Ethikkomitee vor. Gewiss mag ein solches Gremium in strittigen Fällen helfen. Damit es nicht erst zum Streit kommt, empfehle ich, dass gerade auf Intensivstationen Ärzte häufiger mit Patienten, bzw. mit den Angehörigen als Stellvertreter offen und einfühlsam über die Prognose sprechen [1]. Das kostet allerdings Zeit. Ein Grund für die Anwendung nicht indizierter Prozeduren am Lebensende ist die mangelhafte Kommunikation zwischen Klinikern, Patienten und Angehörigen [5]. Würde über die Wahrscheinlichkeit extremer Abhängigkeit und schwerer kognitiver Beeinträchtigung informiert, dann käme es seltener zu sinnlosen Eingriffen.

Literatur

  • 1 Engelhardt K. Die Berücksichtigung der Familie. In: Kranke Medizin. Das Abhandenkommen des Patienten. Münster; Agenda 1999: 214-218
  • 2 Engelhardt K. Aktive, passive, indirekte Euthanasie – eine Begriffsverwirrung?. SHÄ 2008, in Druck
  • 3 Jonsen A R, Siegler M, Winslade W J. Klinische Ethik. Köln; Deutscher Ärzteverlag 2006
  • 4 Möller T, Grabensee B, Frister H. Passive Sterbehilfe in der Praxis – die ärztliche Entscheidung im Spiegel der Rechtslage.  Dtsch Med Wochenschr. 2008;  133 1059-1063
  • 5 Nelson J E, Mercado A F, Camhi S L. et al . Communication about chronic critical illness.  Arch Intern Med. 2007;  167 2509-2515
  • 6 Schreiber H L. Palliative und kurative Therapie am Lebensende.  Med Klin. 2005;  100 429-433

Prof. Dr. med. Karlheinz Engelhardt

Jaegerallee 7

24159 Kiel

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