Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(33): 1689
DOI: 10.1055/s-0028-1082787
Kommentar | Commentary
Gynäkologie, Kardiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Herzerkrankung in der Schwangerschaft – Wagnis oder kontrollierbares Risiko?

Heart disease in pregnancy – peril or manageable risk?M. Kühnert1
  • 1Klinik für Geburtshilfe und Perinatalmedizin, Universität Gießen-Marburg, Standort Marburg
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Publication Date:
06 August 2008 (online)

Die kardiologische Beurteilung und Betreuung einer zunehmenden Zahl junger Frauen mit angeborenen und erworbenen Herzerkrankungen vor und während einer Schwangerschaft sollte fester Bestandteil der ärztlichen Praxis werden. Die rechtzeitige Diagnostik und Identifizierung von Patientinnen, die möglichst vor einer Schwangerschaft einer interventionellen Therapie zugeführt werden sollten, ist dabei besonders wichtig.

Wir Geburtshelfer haben die Aufgabe, schwangerschaftsbedingte Komplikationen bei der Mutter rechtzeitig zu erkennen und uns vom Wohlbefinden des Kindes zu überzeugen: Am Anfang einer Schwangerschaft steht die exakte Anamnese, Befunderhebung und Abklärung. Dabei sind Kenntnisse der kardiovaskulären Physiologie der Schwangerschaft die Grundvoraussetzung zum Verständnis und zur Beurteilung kardialer Erkrankungen der Mutter. Das heißt:

Es muss zwischen Physiologie und Pathophysiologie unterschieden werden. Es muss bei bestehender Pathologie frühzeitig durch den Kardiologen die Herz-Kreislaufbelastbarkeit der Mutter und die daraus resultierende Gefahr der Dekompensation beurteilt werden.

Dieses „kardiovaskuläre Staging” sollte im 1., 2. und 3. Trimenon erfolgen, um für Mutter und Kind eine optimale Betreuung zu garantieren. Geklärt werden muss u.a. die Frage der stationären Überwachung und der Entbindungsmodus und -zeitpunkt. Wichtig ist die spezielle Überwachung, da während der Schwangerschaft das zirkulierende Blutvolumen um etwa 40 % und das Herzminutenvolumen um 30 – 50 % steigt; das Maximum liegt zwischen der 26. – 32. SSW. In dieser Zeit ist bei einer kardialen Vorerkrankung der Mutter die Gefahr für eine Dekompensation am höchsten.

Der Entbindungsmodus herzkranker Frauen (vaginal oder per Sectio) hängt neben den geburtshilflichen Indikationen im Wesentlichen von der mütterlichen Herzkreislaufsituation ab. Bei Risikopatientinnen sollte die Entbindung in einem Zentrum erfolgen, das über alle Möglichkeiten der geburtshilflichen, neonatologischen, kardiologischen, intensivmedizinischen und kardiochirurgischen Behandlungsmöglichkeiten verfügt.

Durch diese interdisziplinäre Kooperation der genannten Disziplinen vor und während der Schwangerschaft und die spezielle Betreuung der Risikopatientinnen ist davon auszugehen, dass die Morbidität und die Mortalität, die mit Herzerkrankungen während der Schwangerschaft verbunden sind, gesenkt werden können.

Ein besonderes Augenmerk bedarf der Einsatz von Tokolytika, speziell des Standardpräparates Partusisten® (= Fenoterol): Dieses β2-Sympathomimetikum kann beim Fetus Myokardnekrosen und bei der Mutter Myokardinfarkte verursachen. Als Ursache wird ein erhöhter Sauerstoffbedarf des Myokards zusammen mit dem durch das Tokolytikum bedingten intrazellulären Calciumeinstrom diskutiert. Dieser Aspekt muss bei kardialen Erkrankungen von Schwangeren sehr sorgfältig evaluiert werden. Der Einsatz des Medikaments sollte, um die Gefahr der mütterlichen kardiovaskulären Dekompensation bei Tokolyse zum Abschluss einer Lungenreife-Behandlung des Ungeborenen oder unter der Geburt bei fetaler Hypoxie im Sinne der intrauterinen Reanimation gering zuhalten, unter Vorbehalt und nach Rücksprache mit dem betreuenden Kardiologen erfolgen. Zur Sicherheit der Mutter ist ein Ausweichen auf die Substanz Atosiban® (= Tractocile, ein Oxytozinantagonist) bei Kurzzeit-Tokolyse und zur intrauterinen Reanimation auf z. B. Sauerstoffgaben an die Mutter, Linksseitenlage etc. zu empfehlen.

Ferner müssen bei herzkranken Schwangeren folgende Maßnahmen beachtet werden:

Endokarditisprophylaxe (bei wem, wann, was, wieviel und wie lange?) Thromboseprophylaxe nach Risikogruppen (bevorzugt niedermolekulares Heparin) Humangenetische Beratung (z.B. bei angeborenen Herzfehlern oder Marfan-Syndorm)

Konsequenz für Klinik und Praxis

  • Eine Risikostratifizierung und Beratung von herzkranken Patientinnen sollte möglichst vor Eintritt einer Schwangerschaft erfolgen.

  • Eine gründliche Anamnese und Untersuchung mit Erfassung der kardialen Belastbarkeit, ein EKG und ein Echokardiogramm sind eine conditio sine qua non der Diagnostik.

  • Herzerkrankungen in der Schwangerschaft, insbesondere Hochrisikopatientinnen, sollten in interdisziplinärer Kooperation behandelt werden.

PD Dr. med. Marita Kühnert

Klinik für Geburtshilfe und Perinatalmedizin, Universität Gießen – Marburg, Standort Marburg

Baldingerstraße

35033 Marburg

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Fax: 06421/5864-387

Email: kuehnert@med.uni-marburg.de