Z Orthop Unfall 2025; 163(01): 9-10
DOI: 10.1055/a-2466-8308
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

Interview mit Prof. Dr. med. Andreas Roth, Bereichsleiter Endoprothetik/Orthopädie an der Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie, Uniklinik Leipzig AöR

Frank Lichert

Die neue Ärztliche Approbationsordnung soll voraussichtlich im Herbst 2027 die aktuell geltende Approbationsordnung ablösen. Hierzu wurde ein Referentenentwurf in der überarbeiteten Fassung vom 15.06.2023 vorgelegt. Welche Punkte innerhalb des Entwurfs bewerten Sie als positiv?

Eine größere Praxisnähe in der Medizinerausbildung, wie dort vorgeschlagen, halte ich in der Tat für sinnvoll. Weiterhin ist geplant, die Ausbildung fachübergreifender zu gestalten, auch das ist richtig. Wenn ich auf mein Fachgebiet blicke, können beispielsweise Rheumatologen, Orthopäden, Traumatologen und Physiotherapeuten gemeinsam und aufeinander abgestimmt den Bewegungs- und Halteapparat oder das Themenfeld Gelenke lehren. Dies hilft, Redundanzen zu vermeiden. Der Gedanke der Praxisnähe spiegelt sich auch in dem Ansinnen wider, die Allgemeinmedizin zu stärken. Diese erfüllt bereits jetzt eine sehr wichtige Aufgabe: Sie sichtet und beurteilt quasi als erste Instanz die Patienten und Patientinnen, um sie dann ggf. an die einzelnen Fachdisziplinen zu überweisen.

Der aktuelle Referentenentwurf stellt die Digitalisierung besonderes heraus. Welche Rolle werden digitale Lösungen, Stichwort künstliche Intelligenz, in der Medizin zukünftig spielen?

Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden im Rahmen der Ausbildung, aber auch in der klinischen Praxis, eine überragende Rolle einnehmen. Dies zeichnet sich im Übrigen schon heute deutlich ab. Was die Ausbildung von Studierenden betrifft, so ist die jetzige Situation nicht mehr mit früher zu vergleichen. Durch die Digitalisierung stehen den Studierenden heutzutage neben dem klassischen Buch Lehrmittel von hoher didaktischer Qualität zur Verfügung. Dazu gehören beispielsweise Onlineplattformen oder auch digitale Formate, die junge Mediziner und Medizinerinnen auf den Kontakt mit Patienten und Patientinnen vorbereiten. Die Entwicklung ist rasant. Deshalb ist es folgerichtig, dass sich die Digitalisierung in der neuen Approbationsordnung prominent wiederfindet.

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Abb. 1 Prof. Dr. med. Andreas Roth.

Im Referentenentwurf wird die Verlagerung der ärztlichen Versorgung vom stationären in den ambulanten Bereich angesprochen. Den angehenden Ärzten und Ärztinnen sollen alltägliche Krankheitsbilder aus der klinischen Praxis nähergebracht werden. Wie realistisch ist das?

Das ist nicht leicht zu beantworten. Man sollte den Aspekt der Praxisnähe im Rahmen der ärztlichen Ausbildung auch nicht apodiktisch sehen. Die Ambulantisierung ist grundsätzlich begrüßenswert. Es gibt heutzutage moderne Konzepte und Techniken, die eine adäquate Behandlung von Patienten und Patientinnen im ambulanten Bereich ermöglichen. Diese Vorgehensweise ist allerdings nicht für jeden geeignet. Im Fall von älteren Patienten und Patientinnen oder auch jüngeren Patienten und Patientinnen, die beispielsweise hinsichtlich ihres Schmerzempfindens von der Norm abweichen, stößt dieses Prinzip schnell an seine Grenzen. Die Studierenden sollten im Rahmen ihrer Ausbildung beide Perspektiven kennenlernen. Ein weiterer kritischer Aspekt im Zusammenhang mit der Stärkung des ambulanten Bereichs ist die ungeklärte Finanzierung.

Wie soll der angestrebte Praxisbezug gelehrt werden?

Die praktische Umsetzung sollte meiner Meinung nach in den Händen der einzelnen Fakultäten liegen. Wir an der Universität Leipzig haben uns zunächst angeschaut, wie viele Arbeitsstunden im Rahmen der Ausbildung der zukünftigen Mediziner und Medizinerinnen bereits investiert werden und wie hoch der personelle Aufwand ist. Der nächste Schritt war, herauszufinden, mit welchen Partnern, sprich mit welchen Fachbereichen können wir zusammenarbeiten, um Synergien zu schaffen und Redundanzen zu vermeiden. Nehmen wir die Koxarthrose. Bei diesem Krankheitsbild kommen die Studierenden durch Bildgebungsverfahren wie Röntgen mit der Radiologie, aber auch mit den Fachgebieten Orthopädie, Rheumatologie und Physiotherapie in Kontakt. In diesem Zusammenhang müssen die Lehrpläne, also Vorlesungen, Praktika und Fortbildungen, sinnvoll angepasst werden. Die Studierenden entdecken so im Idealfall Zusammenhänge, die ihnen im Rahmen eines klassischen Ausbildungskonzepts eventuell verborgen blieben. Auf diese Weise versuchen wir, den Praxisbezug herzustellen, der im Referentenentwurf gefordert wird.

Wie genau müssen die Vorgaben einer Approbationsordnung in der Lehre umgesetzt werden? Anders gefragt, wie frei sind Sie als Dozent, die Inhalte der Medizinerausbildung eigenständig zu definieren?

80% sind vorgegeben und 20% können die Universitäten selbst gestalten.

In dem Referentenentwurf in der Fassung vom 15.6.2023 werden die Orthopädie und Unfallchirurgie als klinische Fächer nicht explizit erwähnt. Wie finden Sie das?

Hier haben wir interveniert. Es gab ein gemeinsames Schreiben von unserer Fachgesellschaft und den Chirurgen an das Gesundheitsministerium. Wir haben vorgeschlagen, dass die Orthopädie und Unfallchirurgie zumindest innerhalb des klinischen Fachs Chirurgie als eine eigenständige Disziplin aufgeführt wird. Das wurde tatsächlich geändert – inzwischen stehen Orthopädie und Unfallchirurgie wieder im Entwurf, und zwar als eigenständig zu lehrendes Fach. Dadurch lassen sich konservative und operative Inhalte sinnvoll abbilden.

Welche Kritikpunkte haben Sie bez. der geplanten Neufassung der Approbationsordnung? Ist die Schwerpunktsetzung aus Ihrer Sicht richtig?

Ich finde es grundsätzlich gut, hier etwas zu tun. Was uns allerdings Kopfschmerzen bereitet, ist die Finanzierung. Durch die Reform wird sich die Zahl der Vorlesungen aller Wahrscheinlichkeit nach verringern, im Gegenzug steigt aber die Anzahl der kleineren Veranstaltungen. Dies führt zu einem höheren personellen Aufwand und somit zu höheren Kosten. Konkret bedeutet das, wir als medizinische Fakultät benötigten 20% mehr Personal, um den Vorgaben gerecht zu werden. Würde diese Zielvorgabe nicht erreicht, müsste die Anzahl der Studierenden um 20% reduziert werden. Ich spreche bewusst im Konjunktiv. Wie die neue Approbationsordnung im Detail aussehen wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen.

Wie ist Ihre Prognose hinsichtlich der Finanzierung?

Ich bin hier sehr skeptisch. Das ist eine politische Entscheidung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass zukünftig mehr Geld in das System hineinfließt.

Das Praktische Jahr (PJ) soll zukünftig in Quartale unterteilt werden. Ist das sinnvoll?

Ich finde ja. Grundsätzlich muss ich sagen, dass wir die PJ-Studierenden sehr gerne bei uns haben. In der Regel sind diese sehr motiviert und stellen eine große Hilfe dar. Eine Unterteilung in Quartale bedeutet, dass die angehenden Kollegen und Kolleginnen ein breiteres Spektrum an medizinischer Praxis erfahren. Der Vorteil für uns als Fakultät besteht darin, dass durch die Neugestaltung des PJ die Studierenden mehr mit den Fachdisziplinen in Berührung kommen. Dies ermöglicht es uns hoffentlich weiterhin, geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren. Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, dass – über die Inhalte der Approbationsordnung hinausgehend – die einzelnen Fakultäten eigene Initiativen entwickeln können, um Studierende an eine praxisnahe, interdisziplinäre Arbeitsweise zu gewöhnen.

Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?

Hier in Leipzig befinden sich die theoretischen und praktischen medizinischen Fächer in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander, das ist natürlich historisch so gewachsen. Diese räumliche Nähe ermöglicht einen engen Austausch zwischen verschiedenen Disziplinen. Um dies zu erreichen, sind die eben erwähnten 20% Selbstbestimmtheit in der Medizinerausbildung essenziell. Ich würde mir wünschen, dass diese Grenze noch weiter nach oben verschoben wird, beispielsweise auf 30%.

Sie sprachen vorhin das Thema Nachwuchsgewinnung in der Orthopädie und Unfallchirurgie an. Wird die neue Approbationsordnung die Situation verbessern oder eher verschlechtern?

Wir versuchen auf verschiedenen Ebenen, junge Mediziner und Medizinerinnen für unsere Fachrichtung zu begeistern. Hier spielen Initiativbewerbungen eine große Rolle. Das funktioniert seit vielen Jahren tatsächlich sehr gut. Es gibt also bereits ein großes Interesse an unserem Fach. Nicht zuletzt spielt die Struktur unserer Klinik eine Rolle, in der alle modernen Inhalte von Orthopädie und Unfallchirurgie abgebildet werden und so eine breite Weiterbildung ermöglichen. Weiterhin rekrutieren wir neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus der Studierendenschaft, die unsere Lehrveranstaltungen besucht. Seit einigen Jahren ist im Übrigen ein erfreulicher Trend feststellbar. Zunehmend zeigen weibliche Studierende Interesse an der Orthopädie und Unfallchirurgie. Ob eine neu gestaltete Approbationsordnung die Rekrutierung neuer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beeinflussen wird, lässt sich schwer abschätzen.

Ist das Inkrafttreten der neuen Approbationsordnung im Herbst 2027 realistisch?

Ganz ehrlich, meine Kollegen und ich können uns dies nicht vorstellen. Nach meiner Einschätzung wird der Prozess am Geld scheitern. Ich möchte in diesem Zusammenhang allerdings darauf hinweisen, dass wir an unserer Einrichtung bereits viele Initiativen angestoßen haben, um auf die Neufassung der Approbationsordnung im Jahr 2027 oder zu einem späteren Termin vorbereitet zu sein. Einige dieser Initiativen habe ich in unserem Gespräch bereits thematisiert. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass hier irgendwann eine Lösung gefunden wird, mit der alle leben können.

Die Fragen stellte Dr. Frank Lichert.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
04. Februar 2025

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