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DOI: 10.1055/a-2449-2856
Tumorkonferenzen zeigen einen Zusammenhang mit neoadjuvanten Chemotherapien bei Magenkarzinomen
Die Komplexität von onkologischen Erkrankungen und deren Behandlungsoptionen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, so dass die interdisziplinäre Beratung und Empfehlung von Behandlungsstrategien heutzutage einen wesentlichen Bestandteil der qualifizierten Patientenversorgung darstellen. Diese Empfehlungen werden in der Regel in Tumorkonferenzen erarbeitet und beeinflussen Diagnoseverfahren und Therapien onkologischer Erkrankungen. Multidisziplinäre Tumorkonferenzen wurden erstmals in den 1970er Jahren durchgeführt und deren Nachweis ist inzwischen, beispielsweise im Zertifizierungsprozess der Deutschen Krebsgesellschaft, erforderlich. Allerdings führen auch nicht zertifizierte Einrichtungen und Netzwerke, die nicht dieser Nachweispflicht unterliegen, Tumorkonferenzen durch [1]. Obwohl ein positiver Einfluss von Tumorkonferenzen auf die Behandlung und das Überleben von Krebspatientinnen und -patienten angenommen wird, wird dieser Effekt bisher nicht routinemäßig erfasst [2]. Zudem findet sich eine flächendeckende Dokumentation darüber, welche Patientin und welcher Patient in einer Tumorkonferenz vorgestellt wurde, bisher nur im Rahmen der Krebsregistrierung statt [3]. Die einzigartige Datensammlung der Krebsregister eignet sich darüber hinaus zur Untersuchung des Einflusses von Tumorkonferenzen auf die Behandlung und das Überleben von Krebspatientinnen und -patienten. In der hier durchgeführten Analyse wurde daher erstmalig anhand von Krebsregisterdaten der Einfluss von Tumorkonferenzen auf die Chemotherapie von Magenkarzinomen untersucht. Lokal fortgeschrittene Magenkarzinome sollen mit einer perioperativen Chemotherapie behandelt werden. Doch obwohl diese Therapieform inzwischen zu den integralen Bestandteilen der umfassenden multimodalen Behandlung dieser Tumoren gezählt wird, hängt der Therapieerfolg von vielen verschiedenen Faktoren ab, die bei der Entscheidung für oder gegen eine neoadjuvante Behandlung sorgfältig abgewägt werden müssen [4]. Der vorliegenden Auswertung liegt daher die Hypothese zu Grunde, dass die komplexe Entscheidung für eine neoadjuvante Chemotherapie zur Behandlung von Magenkarzinomen eher im Rahmen einer multidisziplinären Tumorkonferenz getroffen wird, da hier die Berücksichtigung von verschiedensten Parametern der individuellen Krankheitsfälle zur Routine gehört. Die durchgeführten Analysen basieren auf dem Datensatz des Krebsregisters Rheinland-Pfalz im Institut für digitale Gesundheitsdaten RLP. Die Krebsregistrierung in Rheinland-Pfalz startete im Jahr 1998 zunächst auf Basis epidemiologischer Daten; im Jahr 2016 wurde die Erfassung auf klinische Daten erweitert, dies bedeutet, dass neben Diagnose und Tod von Krebspatientinnen und -patienten auch Daten zu deren Therapie und Verlauf erfasst werden [5]. Für die hier vorliegenden Auswertungen wurden Patientinnen und Patienten eingeschlossen, bei denen im Zeitraum vom 01.01.2016 bis 31.12.2023 ein Magenkarzinom (ICD-10-GM C16) diagnostiziert und operiert wurde. Im Anschluss erfolgte eine Einteilung in vier Therapiegruppen: neoadjuvante Chemotherapie ohne adjuvante Chemotherapie, adjuvante Chemotherapie ohne neoadjuvante Chemotherapie, neoadjuvante und adjuvante Chemotherapie (perioperative Therapie) sowie Operation ohne Chemotherapie. Datenstand der Auswertung war der 03.05.2024. Bei der Analyse zum eventfreien Überleben wurden folgende Parameter als Events gewertet: Progress, Rezidiv, Auftreten eines weiteren Magenkarzinoms, Auftreten einer metachronen Metastase oder Tod der Patientin bzw. des Patienten. Die deskriptiven Analysen, die Erstellung der Kaplan-Meier-Kurven und die Berechnung des Log-Rank-Tests erfolgten unter Verwendung von R (www.r-project.org).
Die Ergebnisse der hier durchgeführten Analyse zeigen, dass neoadjuvante Chemotherapien deutlich häufiger durchgeführt werden, wenn eine Tumorkonferenz stattgefunden hat ([Tab. 1]). Zu neoadjuvanten Chemotherapien ohne nachfolgende adjuvante Chemotherapie erfolgte bei 73% der Fälle die Meldung einer Tumorkonferenz. Zu neoadjuvanten Chemotherapien mit nachfolgender adjuvanter Chemotherapie erfolgte bei 76% der Fälle die Meldung einer Tumorkonferenz. Wurde im Gegensatz dazu keine neoadjuvante Chemotherapie durchgeführt, sondern nur eine adjuvante wurden nur für 43% der Fälle Tumorkonferenzen gemeldet. Erfolgte nur eine Operation, ohne Chemotherapie, wurden nur für 37% der Fälle Tumorkonferenzen gemeldet ([Tab. 1]). Somit zeigt diese Auswertung einen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen neoadjuvanten Chemotherapien und Tumorkonferenzen bei Magenkarzinomen. Die Tumorkonferenzen wurden zu 46% von Zentren gemeldet, die durch die Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifiziert wurden. 54% der Tumorkonferenzen wurden von Einrichtungen ohne DKG-Zertifikat gemeldet.
Therapieansatz |
Tumorkonferenz |
|
---|---|---|
Ja |
Nein |
|
mit neoadjuvanter Chemotherapie ohne adjuvante Chemotherapie N (%) |
199 (73) |
75 (27) |
ohne neoadjuvanter Chemotherapie mit adjuvanter Chemotherapie N (%) |
41 (43) |
55 (57) |
mit neoadjuvanter Chemotherapie und mit adjuvanter Chemotherapie N (%) |
197 (76) |
64 (24) |
mit Operation ohne Chemotherapie N (%) |
420 (37) |
715 (63) |
Einen ersten Einblick in den möglichen Einfluss der verschiedenen therapeutischen Ansätze auf das event-freie Überleben wurde mittels Kaplan-Meier-Kurve ermittelt ([Abb. 1]). Hier zeigte sich ein günstigerer Verlauf für Patentinnen und Patienten mit neoadjuvanter und adjuvanter Chemotherapie im Vergleich zu rein neoadjuvanten oder rein adjuvanten Therapien (Log-Rank-Test: p=0,014; [Abb. 1]). Bei diesen Ergebnissen ist allerdings neben den Fallzahlen<300 pro Therapiegruppe zu beachten, dass Krebsregistern keine Informationen zu Komorbiditäten vorliegen, die einen mögliche Therapieentscheidung und -erfolg beeinflussen können. Bei der Betrachtung der einzelnen UICC-Stadien zeigte sich auf Grund der geringen Fallzahlen kein signifikanter Effekt (Daten auf Wunsch verfügbar). Zusammenfassend gibt diese Pilotstudie anhand von Krebsregisterdaten aus Rheinland-Pfalz erste Hinweise darauf, dass interdisziplinäre Tumorkonferenzen einen deutlichen Einfluss auf Therapieentscheidungen haben, und zwar unabhängig vom Zertifizierungsstatus einer onkologisch tätigen Einrichtung.
Publication History
Article published online:
15 January 2025
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Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Hermes-Moll K, Baumann W, Kowalski C. et al. Multidisziplinäre Tumorkonferenzen in Deutschland. Monitor Versorgungsforschung 2021; 57-61
- 2 Abuelgasim KA, Jazieh AR. Quality Measures for Multidisciplinary Tumor Boards and Their Role in Improving Cancer Care. Glob J Qual Saf Healthc 2024; 7: 28-33
- 3 Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. Einheitlicher onkologischer Basisdatensatz (Juli 2021) https://basisdatensatz.de/basisdatensatz Stand: 01.07.2024
- 4 Pelc Z, Sędłak K, Leśniewska M. et al. Textbook Neoadjuvant Outcome-Novel Composite Measure of Oncological Outcomes among Gastric Cancer Patients Undergoing Multimodal Treatment. Cancers (Basel) 2024; 16: 1721
- 5 Schirrmacher R, Rieger B, Justenhoven C. Behandlung in zertifizierten Lungenzentren (DKG) – Entscheidungsfaktoren von Patienten mit Lungenkrebs. Pneumologie 2022; 76: 547-551