Pneumologie 2024; 78(07): 443-444
DOI: 10.1055/a-2319-4418
YoungDGP im Dialog

Grünes Krankenhaus: innovatives Konzept für eine klimaneutrale Zukunft des Gesundheitssystems

Der Einfluss der Klimakrise auf die respiratorische Gesundheit nimmt mit jedem Tag zu. Der zuletzt erschienene „Lancet Countdown Report“ betonte, dass die weltweit getroffenen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sowie zur Abmilderung dessen Folgen unzureichend sind [1]. Handlungsbedarf ist insbesondere im Gesundheitssystem notwendig, da 5,2 % der gesamten Treibhausgasemissionen aus Deutschland dem Gesundheitssystem entstammen [2]. Eine Maßnahme zur Reduktion der Treibhausgasemissionen stellt das Konzept des „grünen Krankenhauses“ dar. Ziel ist es, eine Transformation zur Klimaneutralität zu erreichen. Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin kann hier als Vorreiter angesehen werden, da ein „Klimafreundliches Krankenhaus bis 2030“ angestrebt wird. Um einen besseren Überblick auf diese innovative Erfahrung zu erlangen und die verschiedenen damit verbundenen Herausforderungen kennenzulernen, führten wir ein Gespräch mit Herrn Dr. med. Christian Grah, Leiter des Projekts und leitender Arzt der Pneumologie und des Lungenkrebszentrums im Krankenhaus Havelhöhe sowie Co-Leiter der Taskforce „Klimawandel und Gesundheit“ der DGP.

Herr Dr. Grah, wie ist die Definition eines „grünen Krankenhauses“?

Ein „grünes Krankenhaus“ ist eine Gesundheitseinrichtung, die neben der Versorgung der Patient/-innen auch die Verantwortung bezüglich Zukunftsfähigkeit und Umweltschutz wahrnimmt. Die Definition eines grünen Krankenhauses ist nicht standardisiert, aber es gibt Organisationen wie „Health Care Without Harm“ (HCWH), die Richtlinien und Netzwerke zur Förderung solcher Einrichtungen entwickelt haben. Ein Beispiel ist das Netzwerk „Global Green and Healthy Hospitals“ (GGHH), das zehn Bereiche identifiziert hat, in denen Krankenhäuser ihre Treibhausgasemissionen reduzieren können. Diese Bereiche umfassen Führung, Chemikalien, Abfall, Energie, Wasser, Mobilität, Ernährung, Medikamente, Gebäude und Einkauf.Das Ziel eines grünen Krankenhauses ist es, eine Gesundheitsversorgung innerhalb der planetaren Grenzen zu schaffen, die sowohl die aktuelle Gesundheit der Patient/-innen schützt als auch die zukünftigen gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels berücksichtigt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anpassung an die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels, wie bspw. die Schaffung hitzeresistenter Krankenhaussysteme.Zur Förderung dieser Ziele hat sich das Kompetenznetzwerk für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen namens „KliMeG“ gebildet. Dieses Netzwerk stellt interessierten Gesundheitseinrichtungen viele kostenlose Materialien und Workshops zur Verfügung, um erste Schritte zur Klimafreundlichkeit zu gestalten. Auch organisiert KliMeG den größten Kongress zu Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen, die Clean Med Berlin (in diesem Jahr am 28.5.2024, https://www.cleanmed-berlin.de).

Wie kann man als Individuum die Transformation zum grünen Krankenhaus umsetzen?

Als Start reicht es, über unsere Initiativen zu berichten, z. B. über Newsletter, in den persönlichen Austausch zu kommen und Leitungspersonen eines Krankenhauses zu überzeugen. Die Unterstützungsbereitschaft neben dem persönlichen Engagement ist dabei essenziell zur erfolgreichen Transformation. Um bspw. Materialien und Workshops beim Netzwerk KliMeG zu erhalten, kann man über einen „Letter of Intent“ sein Interesse zur Entwicklung in ein grünes Krankenhaus zum Ausdruck bringen und Mitglied werden. Die Transformation kann aber nur gelingen, wenn die Umwandlung nicht nur Teil ehrenamtlicher Freizeitaktivität ist, sondern tatsächlich ein Bestandteil der Arbeit wird.Häufig ist es sinnvoll, mit sog. „Low Hanging Fruits“-Projekten zu beginnen: Projekte zu Energiesparmaßnahmen oder erneuerbaren Energie können sowohl viel CO2-Emissionen als auch der Klinik viel Geld sparen. Projekte zu einer klimafreundlichen Ernährung können parallel zu sog. Co-Benefits einer gesünderen Ernährung für Mitarbeiter/-innen und Patient/-innen führen, und damit auch zu einer höheren Mitarbeiter/-Innenzufriedenheit.Zu Beginn sind einige Hürden zu meistern, daher ist es sinnvoll, sich zu Beginn kleine Ziele zu setzen. Z. B. Wie kann man mit einfachen Mitteln einen großen CO2-Einsparungseffekt erzielen? Man kann z. B. mit der/dem Mensa-Verantwortlicher/-in / Köch/-in vereinbaren, dass die Reihenfolge des Menüs verändert wird, sodass als Priorität ein vegetarisches/veganes Menü in die erste Position und die Fleisch-Menüs in die Position 2 oder 3 gestellt werden.

Was haben Sie in Havelhöhe schon erzielt? Welche Herausforderungen sind noch zu bewältigen?

Wir haben die zehn Bereiche der Global Green Healthy Hospitals um vier weitere Bereiche erweitert (Schulung, Aktivitäten, Öffentlichkeitsarbeit, Luft) und verschiedene Prozesse darauf aufgebaut. Wir möchten das erste Krankenhaus sein, das 2030 im Bereich Wärme und Energie klimaneutral wird: ein Nullemissionskrankenhaus, „Zero-Emission-Hospital“ bezogen auf das internationale Referenzjahr 1990. Wir stehen aktuell im Bereich Wärme und Energie bei 70 % CO2-Emissions-Verminderung im Vergleich zu dem, was 1990 der Fall war. Das Krankenhaus ist ein Betrieb, der enorm viel Strom benötigt. Um diesen Energiebedarf zu decken, möchten wir verschiedene Quellen der Energiegewinnung nutzen, wie Photovoltaik-Anlagen sowohl im Bereich der Dächer, aber auch im Bereich verschiedener Flächen und Windenergie. Unser gestecktes Ziel ist es zu zeigen, dass ein Zero-Emission-Krankenhaus möglich ist, um weitere Krankenhäuser anzuspornen, sich ebenfalls in Richtung Zero-Emission-Krankenhaus zu entwickeln.

Wird in unserem ökonomisierten Gesundheitssystem die Transformation als kosteneffizient betrachtet?

Es gibt in der Energiewende keine sicherere Maßnahme, als in diese Transformation zu investieren. Eine über regenerative Energie produzierte Kilowattstunde (kWh) ist aktuell bis zu dreimal günstiger als die kWh bei konventionellen Stromanbietern. Dies ist ein Punkt, mit dem auch die kaufmännische Direktion eines Krankenhauses überzeugt werden kann.

Sind die anderen Handlungsfelder, wie Ernährung oder Einkauf, auch kosteneffizient?

Das ist eine schwierige Frage. Bei der Energie ist es eindeutig, und das ist die Basis, die man nicht überspringen soll. Meine Empfehlung ist, mit den „Low-Hanging-Fruits“ anzufangen. Bei Ernährung ist es etwas komplexer: Seit 2017 haben wir im Krankenhaus Havelhöhe schrittweise unsere Lebensmittelversorgung auf eine klimagerechte und gesündere Ernährung umgestellt. Die Mahlzeiten beinhalten nun eine Vielzahl von pflanzenbasierten Gerichten. Fleisch in Bio-Qualität gibt es zweimal pro Woche und einmal im Monat Fisch von einem Binnenfischereibetrieb. Für uns war die Umstellung kostengünstig, da billiges Fleisch aus Massentierhaltung teurer war als Gemüse und Hülsenfrüchte. Der Anteil an Biolebensmitteln konnte innerhalb von fünf Jahren um 20 % auf insgesamt 60 % (2023) gesteigert werden. Um das zu ermöglichen, wurde der tägliche Betrag für die Verpflegung ab 2019 von 4,74 € auf 5,50 € erhöht. Die erste Umstellung auf vegetarische Ernährung ist also kostengünstig, für die weiteren Schritte geben wir etwas mehr Geld aus, dafür können wir sowohl unseren Mitarbeiter/-innen als auch unseren Patient/-innen eine gute Ernährung als Teil der ganzheitlichen Therapie anbieten. Und dafür sind uns die Mehrkosten allemal wert. Darüber hinaus übersteigen die Kosten für Gesundheits- und Umweltschäden durch jetzige Ernährungssysteme den Wert, den sie zum globalen Bruttoinlandsprodukt beitragen [3].

Gibt es eine staatliche Unterstützung zur Implementierung von grünen Krankenhäusern?

Wichtige Gutachten wie der Wuppertaler Report zu klimaneutralen Krankenhäusern weisen darauf hin, dass Krankenhäuser aktuell nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um die erforderlichen Investitionen aus eigener Kraft zu tätigen. Jedoch würde es sinnvoll erscheinen, dass nicht nur Krankenhäuser, sondern die Bundesrepublik Investitionen zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit tätigen. Zudem wäre ein Krankenhaus-Klimafonds von mehreren hundert Milliarden Euro sinnvoll, der die benötigten Investitionsmittel beinhalten sollte. Diese Fonds würden nicht nur die Investitionen decken, sondern auch eine Anschubfinanzierung für Klimaschutzmanager und die Einrichtung von Jobtickets bieten [4]. Aktuell gibt es einige wenige Fördermöglichkeiten über das Bundesministerium für Wirtschaft. Es gibt aber auch städtebezogene Fördermaßnahmen sowie deutschlandweite Fördermaßnahmen. Aber selbst wenn Fördermaßnahmen existieren, ist die Erstellung von Förderanträgen für Gesundheitseinrichtungen häufig ein Problem. Häufig mangelt es an ausreichender Kompetenz, um einen erfolgreichen und umsetzbaren Antrag zu schreiben. Daher wollen wir im Rahmen der KliMeG neue Möglichkeiten zur Unterstützung der Antragerstellung bieten, um Interessierte und Unterstützer zusammenzubringen.

Welche Empfehlungen können Sie den Mitgliedern der DGP geben?

1. Wir haben in der DGP eine Taskforce Klimawandel und Gesundheit gegründet, die nach einigen Jahren auch als AG einer Sektion anerkannt werden könnte. Ich würde mich sehr freuen, wenn mehr Mitglieder der DGP, aber auch der YoungDGP, diesem Netzwerk beitreten. Wir sollten als Ärzte Verantwortung übernehmen, nicht nur für den einzelnen Patienten, sondern für das ganze System, das mit unserem Planeten interagiert. Ich finde, dass dieser Einsatz sehr gut zu unserer Fachgesellschaft passt.2. Wir haben eine AWMF-Leitlinie „Klimabewusste Verordnung von Inhalativa“ im Auftrag der DGP und der DGAM veröffentlicht. Ziel ist es, die Rate der verwendeten Pulverinhalatoren im Verhältnis zu den Dosieraerosolen von aktuell 50 % auf ≥ 80 % zu steigern. Damit können wir in den nächsten 10 Jahren 10 Million Tonnen CO2e einsparen. Nebenbei wird damit das Bewusstsein für klimasensibles Handeln sowohl auf Patienten- als auch auf Ärzteseite gestärkt. Im globalen Süden sind diese Maßnahmen jedoch aufgrund der aktuell begrenzten Verfügbarkeit von Pulverinhalatoren noch ein Problem. Daher sollten wir uns im Sinne einer gerechten Welt bemühen, auch im globalen Süden die Verfügbarkeit von Pulverinhalatoren sicherzustellen.

Das Interview führte Herr Dr. (Univ. Sfax) Malek Chaabouni. Die Fragen wurden von Herrn Chaaboui und Herrn PD Dr. med. Christoph Fisser vorbereitet. Das Manuskript wurde dann von beiden zusammen geschrieben und von Herrn Dr. med. Christian Grah ergänzt.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
19. Juli 2024

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