Gastroenterologie up2date 2024; 20(02): 118
DOI: 10.1055/a-2280-6614
Wichtige Studien im Fokus

Kommentar zu: Metaanalyse mit unerwartetem Ausgang: Die meisten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen führen nicht zur Verlängerung der Lebenszeit

Hermann Brenner

Die Analysen und Ergebnisse von Bretthauer und Kollegen sind aus mehreren Gründen irreführend. So gingen in die Analysen ausschließlich die während der Nachbeobachtungszeit der randomisierten Studien beobachteten Todesfälle ein. Und selbst für diese Todesfälle wurde nur die während der Nachbeobachtungsperiode verlorene Lebenszeit berücksichtigt.

Insbesondere für die NordICC-Studie, die bislang einzige randomisierte Studie zu den Effekten der Vorsorgekoloskopie auf die Darmkrebs-Inzidenz und -Mortalität [1], sind solche Analysen nicht aussagekräftig und irreführend. Die Nachbeobachtungszeit in der NordICC-Studie betrug 10 Jahre. In diesem Zeitraum ist nur eine Minderheit der durch die Vorsorgekoloskopie langfristig verhinderten Todesfälle zu erwarten [2]. Und selbstverständlich endet der Verlust an Lebenszeit auch für die während der Nachbeobachtungszeit verstorbenen Teilnehmer nicht 10 Jahre nach deren Rekrutierung. Zu diesem Zeitpunkt wären diese Teilnehmer, die im Alter von 55 bis 64 Jahren rekrutiert wurden, zwischen 65 und 74 Jahre alt gewesen. Auch basieren alle Analysen von Bretthauer et al. auf dem Vergleich der zur Vorsorgekoloskopie eingeladenen Personen und der nicht eingeladenen Vergleichspersonen. Von den eingeladenen Teilnehmern haben in der NordICC-Studie aber nur 42% die angebotene Vorsorgekoloskopie in Anspruch genommen. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil der Personen in der Vergleichsgruppe während der 10-jährigen Nachbeobachtungszeit auch eine Koloskopie hatte [3]. Der Gewinn an Lebenszeit durch die tatsächliche Nutzung der Vorsorgekoloskopie wäre daher auch aus diesem Grund sehr viel höher als der von Bretthauer et al. „errechnete“ Gewinn durch das reine Angebot der Vorsorgekoloskopie.

Schließlich bleibt anzumerken, dass keine der in die Analysen einbezogenen Studien dafür konzipiert war und auch nur annähernd ausreichend statistische Power dafür hatte, den Nachweis einer Senkung der Gesamtmortalität zu erbringen. Die Interpretation der Ergebnisse durch die Autoren als Evidenz für das Nichtvorliegen eines Gewinns an Lebenserwartung ist ein Paradebeispiel eines Fehlers 2. Art.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Berechnungen von Bretthauer et al. insgesamt, insbesondere aber in Bezug auf die Vorsorgekoloskopie, in hohem Maße irreführend sind. Es ist dringend davor zu warnen, auf der Basis dieser Berechnungen den erfolgreichen Einsatz des Darmkrebs-Screenings für eine Senkung der Darmkrebs-Inzidenz und Mortalität [4] in Frage zu stellen. Es ist im Gegenteil eine noch deutlich stärkere Nutzung der Darmkrebs-Vorsorge erforderlich, um dem durch die demografische Entwicklung anderweitig zu erwartenden deutlichen Anstieg der Zahl der Darmkrebsfälle in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vorzubeugen [5].



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
19. Juni 2024

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