PSYCH up2date 2024; 18(03): 187-188
DOI: 10.1055/a-2279-0798
Editorial

Das Cannabisgesetz – Herausforderungen für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft

Fritz Hohagen

Nach jahrelanger Diskussion wurde ein Kernstück des Koalitionsvertrags der Bundesregierung, das „Cannabisgesetz“, zunächst am 23. Februar 2024 im Bundestag und dann am 23. März 2024 im Bundesrat beraten und verabschiedet. Damit wird der private Eigenanbau von Cannabis durch Erwachsene sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau in Anbauvereinigungen ermöglicht und die entsprechenden Rahmenbedingungen festgelegt [1]. Darüber hinaus sind regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten geplant, die zurzeit erarbeitet werden und anschließend zur Prüfung der Europäischen Kommission vorgelegt werden sollen [1].

Die Argumente der Befürworter des Gesetzes lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Trotz der bisherigen restriktiven Drogenpolitik Cannabis gegenüber hat der Cannabiskonsum ständig zugenommen.

  • Die Konsumierenden wurden durch die bisherige Gesetzeslage in die Illegalität getrieben und mussten sich Cannabis auf dem Schwarzmarkt im Dealer- Milieu besorgen. Damit kamen sie zwangsläufig mit Kriminellen zusammen und möglicherweise auch in Kontakt mit „harten Drogen“.

  • Die Qualität von Cannabis konnte bislang nicht kontrolliert werden, sodass toxische Beimischungen, Verunreinigungen und synthetische Cannabinoide eine Gesundheitsgefährdung für die Konsumierenden darstellten und aufgrund schwankender THC-Konzentration die Wirkung der Substanz nicht abgeschätzt werden konnte.

  • Durch die Legalisierung von Cannabis in den festgelegten Rahmenbedingungen wären die Kontrollmöglichkeiten auch bei Jugendlichen und damit der Jugendschutz besser umsetzbar.

Zusammenfassend ist es Ziel des Gesetzes, den Gesundheitsschutz zu verbessern, Aufklärung und Prävention zu stärken, die Drogenkriminalität einzudämmen und den Kinder- und Jugendschutz zu stärken [1].

Ob genau das erreicht wird, ist für die Kritiker des Gesetzes fraglich. Von der Ärzteschaft wurde der Gesetzentwurf immer sehr kritisch gesehen (z. B. Beschluss des 125. Ärztetages [2]) und Kritik in entsprechenden Artikeln formuliert [3]. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat sich seit vielen Jahren in Positionspapieren [4] [5] und Stellungnahmen [6] kritisch mit dem Gesetzesvorhaben auseinandergesetzt. Die Stellungnahme der DGPPN für die Bundestagsdebatte vom 2.11.2023 [6] fasst noch einmal die wichtigsten Einwände und Forderungen von Maßnahmen zur Prävention und Behandlung zusammen und führt die relevanteste wissenschaftliche Literatur zum Thema auf (weiterführende Literatur zu den einzelnen Themenbereichen siehe [6]). Im Folgenden seien die wichtigsten Punkte aufgeführt [6]:

  • Die Altersgrenze sei zu niedrig angesetzt. Der Zugang zu Cannabis ab dem 18. Lebensjahr ist unzureichend, da nicht berücksichtigt wird, dass die Gehirnentwicklung in der Regel erst Mitte 20 abgeschlossen ist. Damit besteht bei frühem Cannabiskonsum das Risiko von Folgestörungen wie psychischen und kognitiven sowie Verhaltensstörungen (z.B. Psychoseentwicklung bei vulnerablen Untergruppen).

  • Es ist nicht auszuschließen, dass volljährige Konsumierende Cannabis an Minderjährige weitergeben und damit der Zugang auch für diese Risikogruppe, die am ehesten mit psychischen Folgeschäden und späterer Abhängigkeitsentwicklung rechnen muss, erleichtert wird. Erfahrungen in anderen Ländern wie z.B. Kanada haben gezeigt, dass gerade Minderjährige oft illegale Bezugsquellen nutzen [3]. Außerdem kann die Freigabe von Cannabis einen konsum-verharmlosenden Effekt bei Jugendlichen hervorrufen, der einem schädliche Dauerkonsum Vorschub leistet [3].

  • Die Menge von max. 50g pro Monat zum Eigenkonsum bei Erwachsenen und max. 30g pro Monat bei Heranwachsenden kann zu täglichem hochdosiertem Konsum und damit zu einer Abhängigkeitsentwicklung führen. Außerdem ist bei dieser Höhe der erlaubten Menge eine Weitergabe bzw. Handel nicht auszuschließen.

  • Die Legalisierung von Cannabis muss von einem ausreichenden Netz an Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten begleitet werden, die noch nicht bestehen und die finanziert werden müssen. Weiterhin sollte das gesamte Gesetzesvorhaben wissenschaftlich evaluiert werden, um ggf. Anpassungen in einigen Jahren vornehmen zu können. Auch hierfür müssen ausreichende Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Cannabisgesetz längst nicht alle Kritikpunkte der ärztlichen Berufsverbände und Fachgesellschaften wie beispielsweise der DGPPN berücksichtigt. Durch die Legalisierung von Cannabis ist aller Voraussicht nach mit einer Zunahme des Konsumverhaltens und der damit verbundenen Folgeerscheinungen zu rechnen. Auch außerhalb des Bereichs psychischer Störungen kann man von vermehrt auftretenden Herz- und Lungenerkrankungen ausgehen – in Analogie zum Tabakkonsum. Auf das Gesundheitssystem, aber auch auf die gesamte Gesellschaft, kommen damit neue Herausforderungen zu. Umso wichtiger ist es, dass der gesamte Prozess wissenschaftlich begleitet und evaluiert wird.



Publication History

Article published online:
03 May 2024

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  • Literatur

  • 1 Bundesministerium für Gesundheit. „Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz“. www.bundesgesundheitsministerium.de 2024
  • 2 Gesundheitliche Risiken einer Legalisierung von Cannabis, Beschluss des 125. Deutschen Ärztetags, 2021.
  • 3 Drexler S. Cannabislegalisierung – Pro und Contra. Hessisches Ärzteblatt 2022; 5: 287-289
  • 4 DGPPN , Zur Legalisierungsdebatte des nicht-medizinischen Cannabiskonsums, DGPPN-Positionspapier 29.03.2015.
  • 5 DGPPN, Cannabis-Legalisierung: Prävention und Jugendschutz sind nicht verhandelbar, DGPPN-Positionspapier 29.3.2022.
  • 6 DGPPN, Stellungnahme der DGPPN zum Entwurf eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis, Deutscher Bundestag, Ausschussdrucksache 20(14)154(2) vom 2.11.2023.