Die Wirbelsäule 2024; 08(02): 72-74
DOI: 10.1055/a-2236-4846
Referiert und kommentiert

Kommentar zu Roboterassistierte Wirbelsäulenchirurgie: Ergebnisse und Komplikationen

Sven Kevin Tschöke

Ob mikrochirurgische „Schlüssellochchirurgie“, computernavigiertes Operieren, künstliche Intelligenz oder Robotik – nichts steht derzeit mehr im Fokus der Industrie und medizinischer Leistungserbringer als der Wettkampf um die modernste Technologie im Gesundheitswesen. Zweifelsohne hat die rasante Weiterentwicklung der technischen Hilfsmittel unsere operativen Behandlungsmethoden hinsichtlich der Patientensicherheit revolutioniert. Dennoch bleibt die Frage unbeantwortet, ob diese Sicherheit sich gleichermaßen positiv auf die Qualität unserer Behandlungsergebnisse auswirkt. So werden die Stimmen für neuere und vor allem erfolgsabhängige Kostenerstattungsmodelle, wie zum Beispiel das Modell „Pay for Outcome (PFO)“ als Alternative zum derzeitigen DRG-System immer lauter. Auch wenn die dafür notwendigen, objektivierbaren Endpunkte noch nicht definiert sind, bleibt es unsere tägliche Praxis, sich vornehmlich mit der subjektiven Einschätzung unserer Patientinnen und Patienten hinsichtlich des postoperativen Behandlungserfolges auseinandersetzen zu müssen.

Mit dieser umfangreichen multizentrischen Studie stellten Lee und Kollegen die klinischen Ergebnisse von drei Robotiksystemen zum Vergleich. Als Outcome-Parameter wurden die operative Effizienz (definiert als die benötigte Zeit pro Schraube), Strahlenexposition (Fluoroskopiezeit pro Schraube), Roboter-assoziierte Komplikationen sowie die Dauer des stationären Aufenthaltes und chirurgische Komplikationen im Anwendungszeitraum von 5 Jahren bewertet. Interessant war zudem die Differenzierung zwischen perkutaner und konventionell-offener Schraubenplatzierung. Letztere nahm in der Anwendungshäufigkeit statistisch deutlich zu, was sich zunächst positiv auf die Zeit pro implantierte Schraube auswirkte. Allerdings spiegelte sich dies nicht in einer gesteigerten Komplexität der Eingriffe wider. Stattdessen war vielmehr ein allgemeiner Rückgang des Einsatzes bei höhergradigen Spondylolisthesen und skoliotischen Deformitäten zu verzeichnen. Im Vergleich dazu blieb die Rate an nicht-Roboter-assoziierten chirurgischen Komplikationen sowie der Anzahl an Revisionen (innerhalb von 90 Tagen nach Index-OP) über den Zeitraum der fünf Jahre hinweg gleich.

Zahlreiche Meta-Analysen zur Genauigkeit von roboter-assistierten oder computer-navigierten Pedikelschrauben konnten eine statistisch überlegene Präzision der Technologie-gestützten Verfahren im Vergleich zur konventionellen „Freihand“-Technik nachweisen [1] [2] [3]. Bislang war jedoch keine der Studien imstande eine gleichermaßen positive Korrelation der präziseren Schraubenlage mit dem postoperativen klinischen Ergebnis, insbesondere bei der Korrektur von Wirbelsäulendeformitäten, aufzuzeigen [4]. Die Begründung hierfür liegt auf der Hand – betrachtet man den komplexen Ablauf einer Deformitätenkorrektur, so stellt die Implantation der Pedikelschrauben zwar den grundlegenden, aber dennoch kleinsten Teil des Gesamteingriffes dar. Auch Lee und Kollegen ließen in ihrer Studie diesbezüglich eine kontinuierliche Verkürzung der Gesamtdauer der Operation und eine Reduktion der Komplikationsraten vermissen.

Betrachtet man nun noch den Einfluss der roboter-gestützten Verfahren auf die Gesamtdauer der Hospitalisierung, wurde im Verlauf der 5 Jahre eine Verkürzung um genau einen Tag als statistisch signifikant beschrieben. Allerdings stützte sich das Ergebnis maßgeblich auf den Prozentsatz an Patienten, die in die Häuslichkeit entlassen werden konnten. Der Anteil an Patienten mit Verlegung in die Rehabilitation wies naturgemäß einen vergleichsweise längeren stationären Aufenthalt auf.

Auch nach mittlerweile zwei Jahrzehnten im klinischen Einsatz, bleiben die bislang erzielten Erkenntnisse der roboter-gestützten Eingriffe in der Behandlung von Wirbelsäulenpathologien wenig überzeugend. Die propagierten Vorteile der höheren Präzision bei der Implantation von Pedikelschrauben sind zweifelsohne wissenschaftlich bedeutend, zeigen aber im wirbelsäulenchirurgischen Alltag keinen objektivierbaren Mehrwert in Bezug auf das klinische Behandlungsergebnis. Die derzeit noch weitestgehend unkritische Vermarktung dieser neuen Technologie sollte nicht dazu verleiten, grundlegende Prinzipien in der Behandlung komplexer Wirbelsäulenpathologien auf die optimale Platzierung der Pedikelschrauben zu reduzieren. Es bleibt daher unsere Aufgabe auch als Fachgesellschaft, die weitere Entwicklung dieser innovativen Technologien immer wieder kritisch auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen.



Publication History

Article published online:
16 April 2024

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