Zahnmedizin up2date 2023; 17(06): 469-488
DOI: 10.1055/a-2202-2389
Kraniomandibuläre Dysfunktion

Bildgebung bei CMD – Indikation und klinische Relevanz

Christopher Herpel
,
Peter Rammelsberg
,
Tim Hilgenfeld

Die bildgebende Diagnostik bei kraniomandibulären Dysfunktionen bewegt sich in einem von kontroversen Standpunkten geprägten Spannungsfeld. So wurde in letzter Zeit der diagnostische und therapeutische Nutzen bildgebender Verfahren bei CMD ganz prinzipiell in Frage gestellt. Auf der anderen Seite stehen vereinzelte Behandler*innen, die allein auf Grundlage von Kiefergelenksbefunden umfassende zahnmedizinische Behandlungsindikationen stellen und invasive Therapien rechtfertigen. Bei solchen extremen Positionen scheint eine balancierte Betrachtungsweise wichtig. Der Artikel benennt Möglichkeiten und Grenzen bildgebender Verfahren, beschreibt das Spektrum an zu beobachtenden Kiefergelenksbefunden und diskutiert deren klinische Relevanz.

Kernaussagen

Die Frage nach der Relevanz einer Bildgebung bei kraniomandibulären Dysfunktionen ist unmittelbar verknüpft mit der Frage nach der Relevanz morphologischer Veränderungen als Ursache für CMD-assoziierte Beschwerden. Sie markiert zudem die Notwendigkeit, konkreter zu beschreiben, von welchen Patient*innen die Rede sein soll, wenn „CMD“ als Überbegriff gebraucht wird.

Entgegen früherer Annahmen spielen morphologische Kiefergelenksbefunde eine untergeordnete Rolle für einen Großteil der Patient*innen, die unter dem Konzept „CMD“ gefasst werden. Auch auffällige Bildgebungsbefunde sagen nur kaum voraus, ob und in welchem Ausmaß ein/e Patient*in unter Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen leidet.

Auf dieses Phänomen beziehungsweise diese Subgruppe an Patient*innen mit CMD konzentriert sich der Großteil der Forschungsaktivitäten der vergangenen Jahre. Bei diesen Patient*innen, wie auch in der Allgemeinbevölkerung, können überaus häufig Veränderungen der Kiefergelenksmorphologie festgestellt werden. Diese haben jedoch häufig keinen spezifischen Krankheitswert und bedürfen dann keiner weiteren bildgebenden Untersuchung.

Ungeachtet dieser Tatsache gilt gleichzeitig, dass bei einem relevanten weiteren Teil der „Patient*innen mit CMD“ Kiefergelenksveränderungen durchaus als behandlungsbedürftige Zustände zu begreifen sind. Dies wird regelmäßig – aber nicht ausschließlich – Patient*innen betreffen, bei denen mechanische Problematiken der Kiefergelenksfunktion im Vordergrund stehen. Zwar wird auch bei diesen Patient*innen in der Regel ein konservativer Therapieansatz zu bevorzugen sein, eine morphologische Bildgebung kann jedoch dem Ausschluss ernsthafter lokaler oder systemischer Erkrankungen dienen und Aufschluss über die Ursache der Funktionseinschränkung geben.

Die Entscheidung für eine bildgebende Diagnostik wird im Praxisalltag eher die Ausnahme darstellen und sollte sich, analog dem für andere muskuloskelettale Erkrankungen bereits etablierten Vorgehen, an sogenannten „Red Flags“ orientieren. Aufgrund der fehlenden Strahlenbelastung, der akzeptablen Beurteilbarkeit knöcherner und der guten Beurteilbarkeit relevanter bindegewebiger Strukturen ist die native MRT und nicht die DVT/CT Untersuchung das Verfahren der ersten Wahl. Therapeutische Konzepte, die aus morphologischen Kiefergelenksbefunden Indikationen zur Änderung einer etablierten Kieferrelation stellen, besitzen keine belastbare wissenschaftliche Evidenz und müssen abgelehnt werden.



Publication History

Article published online:
21 December 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany