Nervenheilkunde 2024; 43(01/02): 57
DOI: 10.1055/a-2151-2959
Buchbesprechungen

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Psychiatrie in der DDR III

Weitere Beiträge zur Geschichte

Ekkehardt Kumbier, Kathleen Haack (Hrsg.). Psychiatrie in der DDR III. Weitere Beiträge zur Geschichte. Schriftenreihe zur Medizingeschichte, Bd. 28. Berlin: BeBra Wissenschaft Verlag, 2023, 416 Seiten, gebunden, 32,00 Euro, ISBN 9783954103096

Wer Psychiatrie ernsthaft betreiben möchte, muss die Wurzeln dieses medizinischen Fachbereiches kennen. Die Autoren des Buchbandes Psychiatrie in der DDR III leisten zum Psychiatrieverständnis aus historischen Wurzeln heraus einen unschätzbaren Dienst. Die DDR ist Geschichte. Psychiatriegeschichte bedeutet jedoch auch die überraschende Erkenntnis, dass das Rad nicht immer neu erfunden wird. So weisen die Autoren auf Erfolge der DDR-Psychiatrie hin, wie z. B. die Rodewischer und Brandenburger Thesen (1963 und 1974), benennen aber auch katastrophale Zustände in veralteten Räumlichkeiten. Widersprüchlichkeiten werden klar benannt und so erschließt sich dem Leser, dass es „die“ DDR-Psychiatrie nicht gab, sondern einer je nach Thematik besonderer Sondierung bedarf. Der von den Autoren gestaltete Band geht auf Fragen des Gesundheitswesens ein, thematisiert politisch-ideologische Ansätze und geht auf spezielle Aspekte ein, z. B. „geschlossene Krankenanstalten“ in der DDR.

Gesellschaftliche und politische Aspekte der Psychiatriegeschichte werden beschrieben, unter anderem hinsichtlich der Frage, wie viel Spielräume psychiatrischen Handelns es in der DDR für verantwortliche Therapeuten gab und wie diese genutzt werden konnten. Therapeutische Entwicklungen, z. B. Psychotherapie, Arbeitstherapie und Psychopharmakotherapie werden anhand regionaler Kliniken beleuchtet. Auch dem Thema Devianz und die Beurteilung von Persönlichkeitsstörungen, die im damaligen Jargon als „Asozialität“ bezeichnet wurden, finden Beachtung und kritische Bewertung. Nicht nur in der DDR, auch in der „alten Bundesrepublik“ spielte der Begriff der (staatlichen) „Fürsorge“ in der Vergangenheit eine wesentlich größere Rolle als der Begriff der persönlichen und individuellen Freiheit. Wann aber wird die persönliche Freiheit des Individuums durch psychische Krankheit derart geprägt und eingeschränkt, dass der Begriff der Freiheit zur Makulatur wird und die Betroffenen doch wieder der „Fürsorge“ anderer Menschen oder außenstehender Institutionen bedürfen? Diesen und vielen weitere Fragen und Entwicklungen der Psychiatrie der DDR wird in dem Buch der Herausgeber Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack durch ein renommiertes Autorenteam ausführlich nachgegangen und durch zahlreiche informative Abbildungen ergänzt. Es ist nicht nur eine Fundgrube für psychiatriegeschichtlich interessierte Leser, es ist auch ein absolut notwendiges Werk gegen das Vergessen einer fundamental wichtigen Epoche deutscher Psychiatriegeschichte. Ich kann dieses Buch jedem Leser wärmstens empfehlen, der im Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie tätig ist.

Dirk Arenz, Euskirchen


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Article published online:
19 February 2024

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