CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2023; 85(S 03): S197-S204
DOI: 10.1055/a-2132-6797
Originalarbeit

Potenzialabschätzung für die Konzentration der Versorgung von Krebspatient:innen in Kliniken mit DKG-Zertifizierung mittels Überlebenszeitanalyse

Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
Veronika Bierbaum
1   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
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Jochen Schmitt
1   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
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Monika Klinkhammer-Schalke
2   Tumorzentrum Regensburg (TZR), Zentrum für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg, Regensburg, Germany
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Olaf Schoffer
1   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
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Zusammenfassung

Hintergrund Zertifizierungsprogramme zielen darauf ab, die Qualität komplexer interdisziplinärer Versorgungsmodelle wie der Krebsbehandlung zu verbessern, indem der Versorgungsprozess nach evidenzbasierten Leitlinien strukturiert wird. In Deutschland bietet die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) ein Zertifizierungsprogramm für die Krebsversorgung an, das mehr als tausend Zentren umfasst. In einer kürzlich durchgeführten retrospektiven Kohortenstudie wurde anhand eines großen, bundesweiten Datensatzes, der auf Daten einer gesetzlichen Krankenversicherung und ausgewählter klinischer Krebsregister basiert, gezeigt, dass es einen Überlebensvorteil für Krebspatienten gibt, die in von der DKG zertifizierten Krankenhäusern erstbehandelt wurden. Hier leiten wir aus dem relativen Überlebensvorteil zwei absolute Maße ab. Dies geschieht mit dem Ziel, das Potential dieses Vorteils zu quantifizieren für die Annahme, dass alle Patienten in einem zertifizierten Zentrum behandelt worden wären.

Methoden In der WiZen-Studie wurde das Überleben von erwachsenen AOK-Versicherten mit einer Krebsdiagnose zwischen 2009 und 2017 in zertifizierten Krankenhäusern im Vergleich zu nicht zertifizierten Krankenhäusern analysiert. Neben Kaplan-Meier-Schätzern wurde für insgesamt 11 Krebsarten eine Cox-Regression mit sog. „shared frailty“ verwendet, die für patientenspezifische Informationen wie demografische Merkmale und Komorbiditäten sowie Krankenhausmerkmale und den zeitlichen Verlauf adjustiert wurde. Auf der Grundlage dieser Regression berechnen wir adjustierte Überlebenskurven, die den Zertifizierungseffekt direkt berücksichtigen. Anhand dieser adjustierten Überlebenskurven werden die verlorenen Lebensjahre (Life Years lost, YLL) berechnet. Ebenfalls berechnet wird die Number needed to treat (NNT) für Überleben 5 Jahre nach Diagnosestellung und die daraus resultierende Anzahl vermeidbarer Todesfälle.

Ergebnisse Basierend auf unserer Schätzung für die 537 396 Patienten, die in der WiZen-Studie in einem nicht zertifizierten Krankenhaus behandelt wurden, was 68,7% der Studienpopulation entspricht, finden wir ein Potenzial von 33 243 YLL pro Jahr in Deutschland, berechnet auf Grundlage der deutschen Bevölkerung im Jahr 2017. Das Potenzial zur Vermeidung von Todesfällen 5 Jahre nach der Diagnose beträgt in Deutschland 4.729 Fälle pro Jahr.

Schlussfolgerung Die Cox-Regression ist zwar ein wichtiges Instrument zur Bewertung des Nutzens, der sich aus Adjustierung mit Variablen mit potenziellem Einfluss auf das Überleben ergibt, wie z. B. der Zertifizierung, aber ihre direkten Ergebnisse sind nicht gut geeignet, um diesen Nutzen für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen zu quantifizieren. Die geschätzten verlorenen Lebensjahre und die Anzahl der Todesfälle 5 Jahre nach Diagnose, die hätten vermieden werden können, beugen einer Fehlinterpretation der in der Überlebensanalyse üblicherweise verwendeten Hazard Ratios vor und können dazu beitragen, eine Ergebnisdarstellung für wichtige Akteure im Gesundheitswesen ohne spezielles Hintergrundwissen in Statistik zu erreichen. Die hier vorgestellten Maße, die sich direkt auf die Auswirkungen der Zertifizierung beziehen, können darüber hinaus als Ausgangspunkt für gesundheitsökonomische Berechnungen verwendet werden. Die Steuerung von Krebspatient:innen in zertifizierte Krankenhäuser hätte ein hohes Potenzial, das Überleben bei Krebs zu verbessern.

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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
26. September 2023

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