Krankenhaushygiene up2date 2023; 18(03): 211-212
DOI: 10.1055/a-2101-5379
Editorial

Niemand ist eine Insel – Bedeutung von Gesundheitsnetzwerken in der Hygiene

Nico T. Mutters

Sowohl die zunehmende Spezialisierung in der Medizin als auch eine immer älter werdende und mehr invasive und immunsuppressive Maßnahmen benötigende Bevölkerung bedeuten die Zunahme einer für Infektionskrankheiten und nosokomiale Infektionen (NI) mit assoziierter erhöhter Letalität und Morbidität vulnerablen Gesellschaft. Zusätzlich befördert die internationale Vernetzung und der Reiseverkehr entsprechend weltweit auftretende Pandemien, sei es im Rahmen einer slow pandemic (Ausbreitung von antimikrobieller Resistenz, AMR) oder fast pandemic (z.B. SARS-CoV-2). Auch der Klimawandel wird die Ausbreitung von Infektionskrankheiten global stark beeinflussen. Insgesamt erfordert dies ein Umdenken und eine Novellierung bisheriger Strategien im Bereich der Hygiene.

Im klinischen Alltag wurde sich oft auf die Diagnostik und Therapie des einzelnen Patienten oder auf die Infektionsprävention des Individuums konzentriert. Das Augenmerk lag auf einer Einrichtung und der Verhinderung von Infektionen innerhalb dieser. Die Etablierung von Infektionsclustern stellt im Krankenhaus zweifelsohne ein großes Risiko für die Patientensicherheit dar. Diese Cluster entstehen zwar per definitionem immer intern, doch gerade am Beispiel multiresistenter Erreger (MRE) sehen wir häufig klonale Muster, also Hochrisikoklone, die sich überregional oder regional ausgebreitet haben bzw. ausbreiten und nicht nur eine Einrichtung betreffen. Es ist daher ein Umdenken dahin gefragt, nicht nur das einzelne Krankenhaus und den einzelnen Patienten im Fokus zu haben, sondern ein aktives populationsgesteuertes Hygienemanagement zu denken und zu implementieren. MRE beispielsweise breiten sich am ehesten dort aus, wo für sie ein Selektionsvorteil vorherrscht. In Gesundheitseinrichtungen sind dies beispielsweise häufig die Antibiotikagabe, die räumliche Nähe von teils multimorbiden also vulnerablen Patienten oder ungenügende Hygienemaßnahmen. Bedingt durch räumliche Nähe und eine zunehmende Spezialisierung und Vernetzung im Gesundheitswesen kommt es jedoch immer zur Ausbildung regionaler Versorgungsnetzwerke in denen Patienten von einem Träger zum anderen überwiesen werden. Ein klassisches Netzwerk von Patientenströmen entsteht zwischen Zuweisern und Nachsorgern in deren Zentrum, auch mit dem höchsten Vernetzungsgrad, zumeist der Maximalversorger steht. Die MRE folgen den Patientenströmen und so bedingt sich eine regionale Dynamik. Aus verschiedenen Arbeiten konnte bereits abgeleitet werden, dass Einrichtungen mit dem höchsten Vernetzungsgrad auch die höchste Wahrscheinlichkeit haben, MRE oder andere nosokomiale Erreger zu „erhalten“ [1] [2]. Dies liegt auch daran, dass die komplexeren Fälle zumeist beim Maximalversorger landen, die Patienten aber zuvor bereits andere Gesundheitseinrichtungen gesehen haben mit ggf. Antibiotikagabe, Eingriffen etc. Auch weisen die nachgewiesenen MRE innerhalb eines solchen regionalen Netzwerks genetisch einen deutlich höheren Verwandtschaftsgrad auf als Erreger, die von außerhalb des Netzwerks stammen. All dies zeigt, dass wir Teil einer epidemiologischen Schicksalsgemeinschaft sind und uns diese Netzwerkstruktur bewusstmachen sollten.

Wir müssen dieses Netzwerk kennen, um zu verstehen, wo die hauptsächlichen Übertragungsrouten und die Dreh- und Angelpunkte liegen. Wir brauchen systemische Interventionen und nicht nur solche, die auf ein Krankenhaus ausgerichtet sind. Die Interventionen müssen an neuralgischen Punkten angesetzt werden, um den größten Effekt zur Reduktion von Erregern in der gesamten regionalen Versorgungsnetzwerkstruktur zu haben.

Wir müssen weg von dem Denken, dass z.B. Antibtiotic Stewardship Maßnahmen innerhalb einer Einrichtung ausreichend sind und die Vorstellung überwinden, dass Indikatoren wie Screening- und Infektionsraten als alleinige Instrumente ausreichen, denn sie sind rein einrichtungsspezifisch. Ein Maximalversorger wird aufgrund des höheren Vernetzungsgrades mit viel höherer Wahrscheinlichkeit auch größere MRE-Raten haben und Screeningmaßnahmen sind viel effektiver an neuralgischen Punkten im Netzwerk zu implementieren als in jedem Zuweiser. Hierfür muss allerdings ein Umdenken geschehen, wir müssen uns als regionale Versorgungsstruktur begreifen und sollten Maßnahmen im Netzwerk koordinieren und Qualitätsindizes auf das Netzwerk anlegen. Die zugrundeliegende Netzwerktopologie muss analysiert werden, um gemeinschaftlich systemrelevante Interventionen durchzuführen. Wenn wir zukünftig nosokomiale Erreger erfolgreich eindämmen wollen, dann müssen wir unsere Augen für die uns umliegende Versorgungsgemeinschaft, der wir angehören, öffnen und gemeinsam an Lösungen arbeiten. Wir sollten anstreben, weg von dem kompetitiven konkurrenzbehafteten Gedanken des Vergleichs von Benchmarkingindikatoren der uns umgebenden vernetzten Einrichtungen zu kommen und hin zu Kooperation, denn diese ist am Ende immer überlegen.

Ihr

Nico T. Mutters



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
09. November 2023

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