Psychother Psychosom Med Psychol 2023; 73(09/10): 388-395
DOI: 10.1055/a-2085-4502
Originalarbeit

Einstellung von Fachkräften aus den Heilberufen zum Thema Extremismus und zu Behandlungsoptionen

Attitudes of Healthcare Professionals to Extremism and Treatment Options
Thea Rau
1   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
,
Anna Heimgartner
1   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
,
Sophia Mayer
1   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
,
Marc Allroggen
1   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Ziel der Studie Angesichts der Grausamkeit von Terrorakten und extremistischen Gewalttaten ist es oft unvorstellbar, welche Motive solchen zugrunde liegen. Analysen zu den Attentaten von Ansbach (2016), Halle (2019) oder Hanau (2020) zeigten ein Bild von unterschiedlichen psychischen Auffälligkeiten bei den Tätern, was die Notwendigkeit der Einbindung von Heilberufen in die Extremismusprävention deutlich macht. Vor diesem Hintergrund erscheint die Behandlung von Personen mit extremistischer Einstellung entscheidend, damit negative Konsequenzen für die Betroffenen, aber auch für die Gesellschaft verhindert werden können.

Methoden Im Rahmen einer anonymen Online-Befragung wurden Ärzt:innen und Psychologische Psychotherapeut:innen zu bisherigen Erfahrungen, Einstellungen und Wünschen bezüglich der Behandlung von Patient:innen mit extremistischer Einstellung befragt. Weiterhin wurden Daten bezüglich der eigenen Tätigkeit erfasst.

Ergebnisse Insgesamt nahmen 364 Fachkräfte an der Studie teil, davon sind 18% Ärzt:innen und 72% Psychologische Psychotherapeut:innen. Rund 10% der Teilnehmenden sind Fachärzte außerhalb psychiatrischer Fachrichtungen oder stammen aus anderen Berufsgruppen. Lediglich ein Fünftel der Teilnehmenden gibt an, sich gut ausgebildet für die Thematik zu fühlen. Etwa die Hälfte der Befragten würde einen Therapieplatz anbieten, wenn über die Patient:innen selbst entschieden werden kann, ebenso hat sich etwa die Hälfte bereits einmal mit dem Thema Extremismus beschäftigt. Die Mehrzahl sieht es als notwendig an, sich zukünftig stärker mit dem Thema zu befassen und gibt einen Fortbildungsbedarf an. Die Analysen zeigen, dass Ärzt:innen sich bisher etwas stärker mit dem Thema befasst haben als jene mit psychologisch psychotherapeutischer Ausbildung und Fachkräfte in niedergelassener Praxis eher einen Zusammenhang zwischen Extremismus und psychischen Erkrankungen sehen als Fachkräfte in Kliniken, jedoch weniger bereit wären, Patient:innen mit extremistischer Einstellung einen Therapieplatz anzubieten.

Diskussion Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen weisen einen Fortbildungsbedarf hinsichtlich dem Thema Extremismus auf und sollten besser auf die Herausforderungen einer Krankenbehandlung in diesem Zusammenhang vorbereitet werden.

Schlussfolgerung Damit die Chancen auf eine adäquate Versorgung von psychisch kranken Menschen mit extremistischer Einstellung erhöht werden können, sollten zukünftig Angehörige von Heilberufen, beispielsweise durch Fortbildungsangebote oder Möglichkeiten der Kooperation, besser auf das Thema vorbereitet werden.

Abstract

Objective In view of the cruelty of acts of terrorism and violent extremism, it is often inconceivable what the underlying motives are. Analyzes of the attacks in Ansbach (2016), Halle (2019) and Hanau (2020) showed a picture of different psychological conspicuities among the perpetrators, which highlights the need to involve health care professionals in the prevention of extremism. Against this background, the treatment of people with extremist attitudes appears to be crucial in order to prevent negative consequences for those affected, but also for society.

Methods Within the framework of an anonymous online survey, physicians and psychological psychotherapists were asked about previous experiences, attitudes and wishes regarding the treatment of patients with extremist attitudes. Furthermore, data on their own work was collected.

Results A total of 364 physicians (18%), psychological psychotherapists (72%) and participants with other job descriptions (10%) took part in the study. Only one fifth state that they felt well trained in the subject. About half of the respondents would offer a place in therapy (if they could decide on the patients themselves), likewise about half have already dealt with the topic of extremism and the majority see a need to deal with the topic more in the future and indicate a need for further training. The analyses show that physicians have so far dealt with the topic somewhat more than those with psychological psychotherapeutic training, and professionals in private practive are more likely to see a connection between extremism and psychiatric illnesses than professionals in hospitals, but would be less willing to offer patients with extremist attitudes a place in therapy.

Discussion Physicians and psychotherapists need further training on extremisms and should be better prepared fo the challenges of treating patients in this context.

Conclusion In order to increase the chances of providing adequate care for mentally ill people with extremist attitutdes, health professionals should be better prepared for the topic in the future, for example through further training or opportunities for cooperation.



Publication History

Received: 07 October 2022

Accepted: 14 April 2023

Article published online:
03 July 2023

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