PSYCH up2date 2023; 17(04): 263-265
DOI: 10.1055/a-2067-7759
Editorial

Verantwortungsübernahme als Pflicht oder als Leidenschaft? Eine up2date Haltung unserer Psych*Profession

Eva-Lotta Brakemeier

Die dreifache Krise aus Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Verschmutzung, die Aus- und Nachwirkungen der Corona-Pandemie sowie drohende neue Pandemien, der Krieg in Mitten Europas, Migration, Energieengpässe und zunehmende Polarisierungen der Gesellschaft mit Bedrohungen von Demokratien sind Herausforderungen, denen sich unsere Gesellschaft alltäglich stellen muss: Wir befinden uns in einer Zeit multipler krisenhafter Entwicklungen, die sich teilweise gegenseitig bedingen und verstärken.

Der entstandene Anpassungsdruck und die Erschütterung von Gewissheiten durch solche Bedrohungslagen führen nachgewiesenermaßen zur Beeinträchtigung unserer psychischen Gesundheit. Wir alle können von diesen psychischen Belastungen betroffen sein, weltweit, egal ob jung oder alt, arm oder reich, wobei bestimmte vulnerable Gruppen von den psychischen Auswirkungen der Krisen besonders betroffen sind. Unserer Psych*Profession – und damit möchte ich brückenbauend sämtliche Berufsfelder einschließen, die sich mit der Psyche beschäftigen – kommt also eine besondere Verantwortung zu, diese psychischen Belastungen aufzufangen und, wann immer möglich, ihnen präventiv entgegenzuwirken und Entscheidungsträger*innen und die Gesellschaft auf diese Probleme aufmerksam zu machen.

Zudem fordert ein weiterer wichtiger Faktor in diesem Kontext unsere Profession: Wir Menschen stehen im Zentrum der Krisen. Unser Handeln beeinflusst die Krisen – wir können sogar feststellen: unser Verhalten war die Pandemie und ist die Klimakrise, denn diese ist menschengemacht, durch unser Verhalten. Das eröffnet aber gleichzeitig auch wertvolle Chancen, denn nicht nur Verhaltenstherapeut*innen wissen: Verhalten – vor allem, wenn erstmal verstanden wurde, wodurch es entstanden ist – kann wieder verändert werden. Auch hier sind wir also gefragt – von der Forschung, über die Lehre, Aus- und Weiterbildung bis hinein in die Psychotherapiepraxis und Berufspolitik können, dürfen und müssen wir aus meiner Sicht Verantwortung übernehmen. Psychologisch-medizinisches Wissen und psychotherapeutische Fähigkeiten sind im interdisziplinären Einsatz gebraucht wie nie zuvor!

Daher ist es sehr zu begrüßen, dass beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) diese Verantwortung engagiert übernimmt, wie zum Beispiel durch die Gründung der Task-Force „Klima und Psyche“, welche u.a. die Evidenz zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Psyche zusammengetragen und Handlungsempfehlungen für eine klimaneutrale Psychiatrie erarbeitet hat [1]. Zudem fördert die DGPPN Forschungsaktivitäten in dem Querschnittsbereich zwischen Ökologie, Psychiatrie und Neurowissenschaften und stellt ihren diesjährigen Kongress unter das brandaktuelle Leitmotto „Ökologische Psychiatrie und Psychotherapie“ [2].

„Verantwortung übernehmen“ lautete ebenfalls eines der drei Leitthemen des 2. Deutschen Psychotherapie Kongresses – Forum für klinische Psychologie und Psychotherapie [3]. Dieser fand vom 10.–13.05.2023 in Berlin statt, ausgerichtet von der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs), unith e.V. (Verbund der universitären Aus- und Weiterbildungsinstitute) sowie dem Kongresspräsidenten Prof. Dr. Jan Richter von der Universität Hildesheim und mir als Kongresspräsidentin. Als weitere Kooperationspartnerin unterstützte die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) den neuen Praxis-Track des Kongresses. Basierend auf dem Leitmotiv der Verantwortungsübernahme hat sich ein vielfältiges Programm entfaltet, das auf die wichtige Bedeutung der Psych*Professionen verwies, aber auch bereits an Lösungswegen und Bewältigungsansätzen arbeitete. In seiner Keynote „Verantwortung übernehmen – Psychotherapie(forschung) in Krisenzeiten“ führte der Schirmherr, Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach, vor über 1.300 Teilnehmenden aus, dass psychische Erkrankungen im Kontext dieser Krisen zunehmen und der Psychotherapie(-forschung) eine immer größer werdende Bedeutung zukommt, die es politisch zu unterstützen gilt [4]. Roundtables und Symposien fokussierten insbesondere auf die Verantwortungsübernahme für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, eine der Risikogruppen, bei der eine besonders hohe und wachsende psychische Belastung im Kontext der Krisen beobachtet wird. Für diese Altersgruppe gilt es in besonderem Maße Verantwortung zu übernehmen durch mehr und gezielte Präventionsangebote (insb. an Schulen) und Psychotherapieangebote (insb. durch eine Anpassung der Bedarfsplanung). Die renommierte Klimapsychologin Susan Clayton (College of Wooster/Ohio) stellte in ihrer Keynote Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Klimaangst bzw. das psychologische Wohlbefinden vor und fasste evidenzbasierte Möglichkeiten zur Förderung von Resilienz zusammen. Ein Roundtable zielte auf das Empowerment von Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen ab und zeigte Möglichkeiten (z.B. auch durch das Mitwirken bei den Psychologists/Psychotherapists for Future) und Grenzen (durch Berufsethik beim Ausüben der Psychotherapie) des Einbringens auf. Zum Abschluss des Kongresses wurden die Berliner Bürger*innen eingeladen, gemeinsam mit Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen sowie anderen Klimaexpert*innen Möglichkeiten zu entwickeln, wie auf Hoffnungslosigkeit im Angesicht der globalen Krisen reagiert werden kann, wobei sich u.a. der Stand-up Comedian Maxi Gstettenbauer, der sich selbst offen zu seiner Depression bekennt, wertvoll einbrachte.

Ich möchte dieses Editorial mit einem „Appell“ basierend auf den berufspolitischen Diskussionen des Kongresses abschließen: Wir alle – ganz gleich ob als Psych* in Wissenschaft, Praxis oder Berufspolitik tätig – mögen uns einbringen, (noch mehr) Verantwortung für die Gesellschaft bzw. Mensch, Tier und Umwelt (One Health, Planetary Health) zu übernehmen und unsere Expertise in Wort und Tat der Gesellschaft zurückgeben. Ob dieses Einbringen und diese Verantwortungsübernahme aus Pflichtgefühl oder Leidenschaft motiviert werden, möge jede und jeder für sich reflektieren. Als die Reflexion unterstützende Lektüre kann ich zwei aktuelle Bücher empfehlen: „Verantwortung wahrnehmen als Verantwortung aus Leidenschaft“ von P. Stoellger (2021) und „Die Kraft Verantwortung. Über eine Haltung mit Zukunft“ von I. Schmidt (2021) [5] [6]. Am besten gelingt das Einbringen womöglich, wenn sowohl das Pflichtgefühl als auch unsere Leidenschaft unser Handeln motivieren – daran sollten wir gemeinsam arbeiten, „bevor es zu spät ist“, um den Buchtitel eines in dem Zusammenhang ebenfalls ausgesprochen passenden Buches von Karl Lauterbach zu zitieren [7].

Gerade der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis, Forschung und Versorgung sowie Berufspolitik, aber auch zwischen Generationen, Fächern und Disziplinen unter Einbezug von Betroffenen ist dafür hochrelevant, was insbesondere auf Kongressen, Symposien aber auch durch Artikel in Zeitschriften wie PSYCH up2date stimuliert werden kann (vgl. bei PSYCH up2date in Planung für 01/2024: Beitrag zur Ökologischen Psychotherapie und Psychiatrie von Brakemeier, Karl & Meyer-Lindenberg).

Ich wünsche Ihnen nun viel Freude und Lernzuwachs bei der Lektüre der fünf folgenden Artikel:

  1. Hillert: „Burnout: Hintergründe, Konzepte, Perspektiven“

  2. Enning et al.: „Skillstraining bei Borderline-Persönlichkeitsstörung“

  3. Zwanzger et al.: „Angst, Erregung, Suizidalität – Psychiatrische Notfälle im Allgemeinkrankenhaus“

  4. Brakemeier et al.: „Interpersonelle Psychotherapie“

  5. SOP zum Thema „Insomnie“

Wie schon Molière sagt: Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. Lassen Sie uns daher gemeinsam weiter und intensiver Verantwortung übernehmen.

Eva-Lotta Brakemeier



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Article published online:
11 July 2023

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