Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(15): 944-945
DOI: 10.1055/a-2058-1707
Aktuell publiziert

Kommentar zu „Kolonkarzinom: niedrige Prävalenz nach Screening-Intervallen von über 10 Jahren“

Contributor(s):
Axel Eickhoff

Über die adäquaten Nachsorge- und Kontrollintervalle nach stattgehabter Vorsorge-Koloskopie wird in den Fachgesellschaften und der Literatur seit Jahren mitunter kontrovers und länderübergreifend diskutiert – dies nicht nur bei Vorliegen von Adenomen und Polypen, sondern auch bei unauffälliger Index-Koloskopie ohne weitere Risikofaktoren. In Anbetracht unserer demografischen Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft und der Notwendigkeit von evidenzbasierter, rationeller Ressourcennutzung geschieht diese Diskussion zunehmend auch unter medikolegalen, ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten. Im Jahr 2019 wurde eine Metaanalyse und systemisches Review zu diesem Thema publiziert. Eingang in diese Analyse fanden 28 publizierte Studien im Zeitraum von 2000 bis 2019 mit dem Ergebnis, dass ein Auftreten von fortgeschrittenen Adenomen 10 Jahre nach negativer Index-Koloskopie extrem selten ist. Hierauf basiert unter anderem die Empfehlung der Fachgesellschaften (ASGE, ESGE, DGVS), das Nachsorge-Intervall nach 10 Jahren stattfinden zu lassen. Die Daten aus diesen Studien müssen mit Bedacht und im Detail analysiert werden, sind sie doch geprägt durch eine hohe Heterogenität des Patientenguts und eine kleine Fallzahl. Darüber hinaus wurde in diesen Studien nicht nach Alter, Geschlecht und Vorgeschichte diskriminiert: nachgewiesenermaßen klassische Risikofaktoren für ein KRK. Zudem blieb bislang die Frage offen, ob eine Verlängerung dieses Intervalls für bestimmte Patientengruppen auf >10 Jahre möglich ist.

Zur besseren Evidenzabsicherung aktueller Leitlinien und Empfehlungen zur Nachsorge und zur genaueren Risikostratifizierung mit möglicher Ausdehnung des 10-Jahres-Intervalls wurde o.g. Querschnittstudie von Heisser et al. aus dem DKFZ aufgelegt. Datengrundlage sind Ergebnisse aus dem deutschen Vorsorge-Koloskopie-Register. Dieses wurde mit Einführung der Vorsorge-Koloskopie ab dem 01.10.2002 aufgelegt und ist mit >10 Millionen Teilnehmern das weltweit größte dieser Art. Zur Analyse kamen in dieser Querschnitts-Studie knapp 120000 Teilnehmer mit einem Lebensalter älter 65 Jahre, die mindestens 10 Jahre zuvor eine negative Index-Koloskopie hatten. Diese Gruppe wurde mit den Daten von 1,25 Millionen Teilnehmern >65 Jahre, die sich einer Screening-Koloskopie unterzogen, verglichen.

Fazit der Studie: Das Risiko und die Inzidenz fortgeschrittener Adenome 10 Jahre nach unauffälliger Index-Koloskopie sind insgesamt selten. Besonders niedrig ist dieses Risiko bei Frauen und einem jüngerem Lebensalter zum Screeningstart.

Wie sind diese Ergebnisse im Kontext mit den bekannten Daten aus der Literatur einzuordnen? Durch diese große Observationsstudie konnte zum ersten Mal evidenzbasiert belegt werden, dass im Rahmen der Vorsorge-Koloskopie ein Nachsorgeintervall von frühestens 10 Jahren nach negativer Index-Koloskopie vollkommen ausreichend ist. Dies unterfüttert die aktuellen Empfehlungen der Fachgesellschaften nun mit validen Daten. Möglicherweise kann dieses Intervall für Frauen und Teilnehmer jüngeren Lebensalters auf >10 Jahre erweitert werden. Voraussetzung dafür sind natürlich adäquate Bedingungen bei der initialen Koloskopie, Ausschluss genetischer/ familiärer Risikokonstellationen und die Symptomfreiheit im Nachsorgenintervall. Wo geht die Reise bei der KRK-Vorsorge und Nachsorge zukünftig hin?

Das, was wir schon seit Jahren in der translationalen Onkologie mit der individualisierten Therapie beobachten, wird auch beim KRK-Screening und der Nachsorge Einzug halten. Wir werden nicht mehr apodiktisch jedem Teilnehmer nach stattgehabter Vorsorge-Koloskopie eine Kontrolle nach 10 Jahren anbieten, sondern zukünftig eine individuelle, risikoadaptierte Nachsorge empfehlen. Dies kann bedeuten, dass bestimmte Gruppen erst nach 15 Jahren oder eventuell als „once in a lifetime“ gar nicht mehr zur Verlaufskontrolle kommen müssen. Zwei weitere Aspekte müssen erwähnt werden: einerseits der klare und belegbare Trend eines signifikanten Anstiegs der KRK-Inzidenz in jüngerem Lebensalter (<40 Jahre), und auf der anderen Seite das Potenzial der Künstlichen Intelligenz (KI), nicht nur in der Polypen-Detektion und -Charakterisierung, sondern vor allem in der Diskriminierung von potenziellen Risikogruppen unter Einbeziehung aller relevanten epidemiologischen und medizinischen Kenndaten eines jeden Teilnehmers. Dies kann bedeuten, dass wir bestimmte Gruppen schon ab deutlich jüngerem Lebensalter einem Screening zuführen müssen und andererseits möglicherweise Gruppen definieren, die keiner weiteren Nachsorge bedürfen. Individualisierung und die Maxime „choose wisely“ halten somit auch in der Koloskopie Einzug.



Publication History

Article published online:
21 July 2023

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