Nervenheilkunde 2023; 42(09): 657-659
DOI: 10.1055/a-2050-0723
Gesellschaftsnachrichten

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Monoklonale CGRP-Antikörper Prophylaxe: Osteologische Konsequenzen?

*** Ray JC, Sztal-Mazer S, Baker J, et al. The short-term effects of CGRP monoclonal antibodies on bone turnover: A prospective cohort study. Cephalalgia 2023. doi: 10.1177/03331024231180562

Hintergrund

Calcitonin gene-related peptide (CGRP) ist ein Neuropeptid, das in verschiedenen Geweben des Körpers vorkommt und eine ganze Reihe physiologischer Wirkungen besitzt. CGRP wird hauptsächlich im zentralen und peripheren Nervensystem produziert und hat starke vasodilatorische Eigenschaften und erfüllt auch in anderen Geweben wie Lunge, Darm und Knochen neuropeptidische Aufgaben. Die Homöostase des Knochenstoffwechsels ist ein komplexes Zusammenspiel aus simultanem Knochenaufbau und -abbau. Aus der neurologischen Praxis kennen wir Medikamentengruppen, die diese Homöostase beeinflussen können und somit zu behandlungsbedürftigen medikamenteninduzierten Osteopathien führen können. Die Frage ist, inwiefern die monoklonale CGRP-Therapie diese Homöostase beeinflusst. Hierfür untersucht die vorliegende Studie die Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel prospektiv nach Start einer anti-CGRP-Antikörpertherapie.


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Zusammenfassung

In dieser prospektiven, longitudinalen Kohortenstudie wurden zwischen Juni 2021 und Juli 2022 45 Studienteilnehmer mit der ICHD-3-Diagnose einer chronischen Migräne untersucht. Das Ziel war es, den Einfluss von monoklonalen CGRP-Antikörpern auf den Knochenstoffwechsel zu untersuchen. Die Studienteilnehmer erhielten nach den geltenden Vorschriften eine monoklonale CGRP-Liganden-Antikörpertherapie mit Galcanezumab (n = 41) oder Fremanezumab (n = 4). Für das Screening des Knochenstoffwechsel wurden Marker wie das P1NP (Prokollagen Typ 1 N-terminales Propeptid), für die Knochenbildung und das CTX (C-terminales Telopeptid Typ 1 Kollagen) als Marker für den Knochenabbau serologisch vor Start der Therapie (Ausgangswert) sowie nach 3 Monaten (Median nach 104 Tagen) bestimmt. Die Auswertung der Ergebnisse zeigte, dass die serologische Konzentration von P1NP (Knochenbildung) signifikant nach Initiierung der monoklonalen CGRP-Antikörperprophylaxe anstieg, während sich der CTX-Spiegel (Knochenabbau) nicht signifikant änderte. Insgesamt liefert diese Studie erste Erkenntnisse darüber, dass die Verabreichung von monoklonalen CGRP-Liganden-Antikörpern bereits im kurzen Beobachtungszeitraum von 3 Monaten den Knochenstoffwechsel beeinflussen kann, indem sie tendenziell eher die Knochenbildung bzw. -formation fördern.


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Kommentar

Diese Studie unterstreicht die mannigfaltigen Aufgaben, die das CGRP-Neuropeptid in unserem Körper erfüllt. Sie liefert ein erstes Indiz, dass die monoklonale CGRP-Antikörpertherapie sich nicht nur als klinisch wirksam bei der Behandlung der Migräne gezeigt hat, sondern durch die funktionelle Inaktivierung von CGRP noch ungeahnte Langzeitarzneimittelnebenwirkungen auftreten könnten. Bezogen auf den Knochenstoffwechsel, lässt sich aus dieser Studie keine konkrete klinische Konsequenz herleiten, da die Serummarker P1NP und CTX relativ unspezifisch die Homöostase des Knochenstoffwechsels aufzeigen. Auch stehen die Studienergebnisse zum Teil im Widerspruch zu Ergebnissen aus präklinischen Tiermodellen, bei denen CGRP-Knock-out-Mäuse eine gestörte Knochenformation und Anzeichen einer Osteopenie nach längeren Zeiträumen aufzeigten [1], [2]. Des Weiteren waren die Studienteilnehmer relativ jung (41,8 ± 11,9 Jahre) und hatten keine osteologischen Vor- bzw. Begleiterkrankungen. In der klinischen Praxis können jedoch Patienten mit Migräne mit einem ohnehin gestörten Knochenstoffwechsel behandelt werden oder Frakturen unter der laufenden monoklonalen CGRP-Antikörperprophylaxe auftreten. Hinsichtlich dieser Umstände bedarf es weiterer Studien mit längeren Beobachtungszeiträumen sowie ein kritisches Augenmaß und individuell patientenorientierter Entscheidungen zur monoklonalen CGRP-Antikörpertherapie.

Hauke Basedau, Hamburg


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
04. September 2023

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