Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2023; 30(03): 107-108
DOI: 10.1055/a-2044-7868
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Unn Klare
1   Behnkenhagen
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Anstieg der Onchozerkosezahlen in Kamerun

Die Onchozerkose oder Flussblindheit gehört zu den häufigsten der armutsassoziierten und daher oft vernachlässigten Tropenkrankheiten, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Gruppe der „Neglected Tropical Diseases“ (NTDs) zusammengefasst werden [1]. Weltweit leiden heutzutage schätzungsweise 15–20 Mio. Menschen an dieser Filariose – 99 % von ihnen leben im Afrika südlich der Sahara. Darüber hinaus gibt es aber auch ein isoliertes Vorkommen im Jemen und betroffene Regionen in Amerika, in die der Erreger durch den Sklavenhandel gelangt war.

Im Rahmen ihres Strategiepapiers zur Bekämpfung der NTDs hat es sich die WHO zum Ziel gesetzt, die Onchozerkose bis zum Jahr 2030 in mindestens 12 der ehemals 38 als Endemiegebiet geltenden Ländern zu eliminieren, d. h. eine landesweite Unterbrechung der Übertragung zu erreichen. In weiteren Ländern soll dies zumindest in einzelnen Regionen gelingen. Und in den vergangenen Jahren konnten hier auch tatsächlich zahlreiche Erfolge gefeiert werden: Durch den Wirkstoff Ivermectin können die Larven des Erregers Onchocerca volvulus abgetötet werden. Da der Mensch der einzige Endwirt dieser Fadenwürmer ist, kann eine jährliche, prophylaktische Gabe an die gesamte Bevölkerung in den betroffenen Regionen den Vermehrungszyklus der Würmer dauerhaft unterbrechen. Die relativ hohe Lebenserwartung der Parasiten von ca. 15 Jahren macht es jedoch notwendig, dass diese Maßnahme ebenfalls mindestens 15 Jahre lang konsequent durchgeführt wird, um einen Rückschlag nach dem Ende der Ivermectin-Gabe zu vermeiden.

Hierdurch konnten bereits 4 der 6 betroffenen amerikanischen Länder eine Elimination erreichen und auch in Brasilien und Venezuela sind nur noch einzelne Gebiete im Stammesgebiet der Yanomani betroffen. Vergangenes Jahr beantragte darüber hinaus mit dem Niger die erste afrikanische Nation bei der WHO offiziell als frei von der Flussblindheit zu gelten. Weitere Staaten – beispielsweise Uganda, Äthiopien und Nigeria – haben zumindest in einigen Landesteilen eine Elimination erreicht und konnten dort bereits die jährliche Gabe von Ivermectin einstellen.

In anderen Regionen hält sich die Onchozerkose trotz teilweise jahrelanger Ivermectin-Gabe dagegen hartnäckig. So meldete Kamerun auch nach 20 Jahren noch stark endemische Gebiete – zuletzt wurden hier 6000 Neuinfektionen innerhalb der letzten 3 Monate registriert. Die tatsächliche Anzahl dürfte dabei noch beträchtlich höher sein, da etwa 70 % der Kameruner vorwiegend oder ausschließlich traditionelle Heiler aufsuchen, was eine systematische Erfassung der Krankheitszahlen deutlich erschwert. Vermutlich sind bereits 6 der 26 Mio. Einwohner des Landes infiziert.

Dies bedeutet eine enorme Belastung für das Land und seine Bevölkerung: Denn auch wenn die Onchozerkose nicht direkt tödlich verläuft, so sind die sozialen und ökonomischen Folgen der Krankheit verheerend: Die unter der Haut lebenden Würmer verursachen nicht nur starken Juckreiz, Knoten im Bindegewebe und degenerierende Hautveränderungen. Bleibt die Krankheit über Jahre hinweg unbehandelt, so gelangen die Wurmlarven, die im Unterhautgewebe und in den Lymphgefäßen durch den ganzen Körper wandern, bis in die Augen. Hier können sie irreversible Sehschäden bis hin zu völliger Blindheit verursachen. Dies betrifft ca. 10 % der Patienten. Die oft aus der Erblindung und dem Verlust der Erwerbsfähigkeit resultierende prekäre Lebenslage und die Tatsache, dass eine Infektion mit O. volvulus die Patienten anfälliger für andere Infektionen macht, führt dazu, dass die Betroffenen ohne Behandlung eine um ca. 13 Jahre verkürzte Lebenserwartung haben [2].

Aus Furcht vor der Erkrankung verlassen daher insbesondere junge Menschen die stark betroffenen Regionen. Hierbei handelt es sich aber vor allem um fruchtbare Flussniederungen, da der Überträger der Onchozerkose – die Kriebelmücke – an schnellströmende Gewässer gebunden ist. Zurückbleiben dann vor allem die Alten und die bereits Erblindeten. So verlieren die afrikanischen Subsahara-Staaten einen großen Teil der für die hungernde Bevölkerung wichtigen Anbaugebiete.

Warum die Ivermectin-Gabe in einigen Regionen kaum Erfolge zeigt oder es, wie in Kamerun, trotzdem sogar noch zu steigenden Fallzahlen kommt, ist nicht ganz klar. Ein Faktor ist wahrscheinlich, dass die Kriebelmücken durch eine Zunahme von Überschwemmungen in den letzten Jahren mehr Brutplätze finden. Teilweise wurden auch in früher kaum besiedelten Gebieten neue Anbaugebiete erschlossen – beides führt zu einer steigenden Zahl von Übertragungen der Erkrankung auf den Menschen. Bei einer regelmäßigen Einnahme von Ivermectin sollte dies jedoch kaum Folgen haben, da sich die Wurmlarven dann nicht weiterentwickeln könnten.

Es scheint also, als fehle es an der konsequenten Umsetzung der Ivermectin-Strategie. Ein Grund dafür könnte die nach wie vor sehr große Bedeutung von traditionellen Heilern in der Region sein, die die Symptome der Flussblindheit teilweise noch immer als Folge eines bösen Fluches deuten. Aber auch die Angst vor Nebenwirkungen von Ivermectin ist für die oft sehr arme Bevölkerung relevant: Kopfschmerzen, Übelkeit oder Fieber als Folge der wiederholten Medikation können sich negativ auf alltägliche Aktivitäten auswirken und dementsprechend auch ökonomische Konsequenzen haben.

Durch verstärkte Aufklärungsprogramme soll nun eine bessere Teilnahmequote an den jährlichen Ivermectin-Programmen erreicht werden. Zusätzlich suchen medizinische Helfer aktiv Gemeinden in abgelegenen Regionen auf und behandeln die Erkrankten hier mit Doxycylin – eine solche Behandlung tötet zwar nicht die Adultwürmer, jedoch die Bakterien der Gattung Wolbachia, welche essenzielle Symbionten der Fadenwürmer sind. Eine mehrwöchige Gabe des Antibiotikums führt daher zu einer Sterilisation der Wurmweibchen und erwies sich schon in anderen Regionen als wertvolles, zusätzliches Mittel, um die Onchozerkosezahlen zu senken.



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Article published online:
02 June 2023

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