Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(07): 396-399
DOI: 10.1055/a-2038-9745
Kasuistik

Teufel mit Engelsflügeln – wenn Vitamin A Leben rettet

Devil with angel wings – when vitamin A saves lives
Tobias Matthieu Benoit
1   Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz (Ringgold ID: RIN27243)
,
Stefan Gundermann
1   Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz (Ringgold ID: RIN27243)
› Institutsangaben

Zusammenfassung

Anamnese und klinischer Befund Ein 40-jähriger, bislang gesunder Patient stellte sich mit neu aufgetretener, hämorrhagischer Diathese auf unserer Notfallstation vor. Klinisch fanden sich ausgeprägte Blutungsstigmata mit großflächigen Ekchymosen im Bereich der Oberschenkel sowie enorale Schleimhauteinblutungen, bei sonst allgemeinem Wohlbefinden.

Untersuchungen Die durchgeführte Gerinnungsdiagnostik war mit dem Bild einer disseminierten intravasalen Verbrauchskoagulopathie vereinbar. Im mikroskopischen Blutbild fand sich zudem eine leukämische Ausschwemmung von 74% morphologisch atypischen Promyelozyten.

Diagnose, Therapie und Verlauf Die in der Folge durchgeführte Knochenmarkdiagnostik stellte die Diagnose einer akuten Promyelozytenleukämie (mikrogranulärer Variante). Neben der Gerinnungsoptimierung wurde noch vor Diagnosebestätigung auf der Notfallstation eine Therapie mit der Vitamin-A-Säure Tretinoin (engl. all-trans retinoic acid, ATRA) eingeleitet, welche im Verlauf um Arsentrioxid (ATO) und das Anthrazyklin Idarubicin ergänzt wurde. Erfreulicherweise zeigte sich ein komplikationsarmer weiterer Verlauf. Der Patient ist zudem hinsichtlich der akuten Promyelozytenleukämie aktuell in kompletter Remission.

Folgerungen Die akute Promyelozytenleukämie macht etwa 10–15% aller akuten myeloischen Leukämien aus, geht initial häufig mit einer ausgeprägten Gerinnungsaktivierung im Sinne einer disseminierten intravasalen Verbrauchskoagulopathie einher und verläuft unbehandelt rasch tödlich. Eine rasche und bereits bei Diagnoseverdacht eingeleitete Therapie mit ATRA, wie auch eine Gerinnungsoptimierung, sind prognostisch entscheidend.

Abstract

Anamnesis and clinical examination A 40-year-old male patient presented to our emergency department with a new onset of hemorrhagic diathesis. Clinically, there were marked bleeding stigmata with extensive ecchymosis in the thigh area and oral mucosal hemorrhage with otherwise general well-being.

Diagnostics The coagulation diagnostics performed were consistent with the picture of disseminated intravascular consumption coagulopathy. Microscopic blood count also revealed 74% morphologically atypical promyelocytes.

Diagnosis, therapy, and clinical course Bone marrow investigation confirmed the diagnosis of a microgranular variant of acute promyelocytic leukemia. In addition to coagulation optimization, therapy with all-trans retinoic acid (ATRA) was initiated immediately. Subsequently, arsenic trioxide (ATO) and the anthracycline idarubicin were added. No severe complications occurred in the following course of treatment. Moreover, the patient is currently in complete remission regarding acute promyelocytes leukemia.

Conclusions Acute promyelocytic leukemia accounts for approximately 10–15% of all acute myeloid leukemias. Often, association with marked coagulation abnormalities due to disseminated intravascular consumption coagulopathy, which is present at diagnosis, APL becomes fatal if untreated. Rapid therapy initiation with ATRA and coagulation optimization, initiated as soon as the diagnosis is suspected, are crucial for prognosis.

Kernaussagen
  • Die akute Promyelozytenleukämie (APL) ist ein hämatologischer Notfall, welcher bereits bei Verdacht der sofortigen Einleitung von spezifischen Therapiemaßnahmen bedarf.

  • Die initiale klinische Präsentation ist bei einer Mehrheit der Patienten mit neu diagnostizierter APL durch eine schwere, potenziell tödlich verlaufende, disseminierte intravasale Verbrauchskoagulopathie geprägt.

  • Neben der Gerinnungsoptimierung steht die umgehende Einleitung einer APL-spezifischen antileukämischen Therapie im Vordergrund. Eine Therapie mit der Vitamin-A-Säure Tretinoin (engl. all-trans retinoic acid, ATRA) soll daher bereits im Verdachtsfall unmittelbar begonnen werden.

  • Wird die initiale Erkrankungsphase gut überstanden, hat die APL eine hervorragende Prognose.



Publikationsverlauf

Eingereicht: 19. Dezember 2022

Angenommen nach Revision: 20. Februar 2023

Artikel online veröffentlicht:
20. März 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany