Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(13): 802-804
DOI: 10.1055/a-1996-5839
Aktuell publiziert

Kommentar zu „RAS-Inhibitoren bei schwerer Niereninsuffizienz ohne prognostischen Effekt“

Contributor(s):
Karl F. Hilgers
,
Johannes F. E. Mann

Hemmer des Renin-Angiotensin-Systems (RAS), insbesondere ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptor-Blocker (ARB), gehören zu den wichtigsten Medikamenten zur Verzögerung der Progression chronischer Nierenerkrankungen und der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse. Seit Beginn des klinischen Einsatzes dieser Substanzen bei Patient*innen mit chronischen Nierenerkrankungen (CKD) fiel auf, dass zu Beginn der Behandlung oft eine akute Verminderung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) auftritt, bevor es zur langfristigen Stabilisierung der GFR kommt [1]. Pathophysiologisch handelt es sich bei dem initialen Abfall der GFR höchstwahrscheinlich um einen hämodynamischen Effekt – die (maladaptive) Hyperfiltration der CKD wird durch Vasodilatation der efferenten Arteriole des Glomerulums abgemildert. Daher liegt die Idee nahe, bei sehr fortgeschrittener CKD RAS-Hemmer wieder abzusetzen, um so wieder eine höhere Filtration zu ermöglichen. Potenziell könnte so nicht nur der Beginn einer Dialysebehandlung hinausgeschoben, sondern auch das Risiko einer Hyperkaliämie vermindert werden [2].

Eine kleine, unkontrollierte Studie [3] legte 2010 einen solchen positiven Effekt beim Absetzen von RAS-Hemmern nahe, also ein Hinausschieben der Dialyse. In dieser Beobachtungsstudie wurde bei etwa 40 Patient*innen mit progredientem GFR-Verlust ein RAS-Hemmer abgesetzt und bei 2/3 der Patient*innen stieg die GFR, zum Teil beeindruckend, an. Andererseits hatten Fan Fan Hou et al. [4] bereits 2006 in einer randomisierten Studie gezeigt, dass ACE-Hemmer die Progression einer Niereninsuffizienz, selbst einer weit fortgeschrittenen CKD, verlangsamen können, auch wenn die Behandlung erst bei einem Serum-Kreatinin zwischen 3,1 und 5,0mg/dl (GFR im Mittel 26 ml/min) beginnt. Allerdings untersuchte diese Studie nicht den Effekt der Therapiebeendigung.

Die erste randomisierte, multizentrische Untersuchung zur Frage der Therapiebeendigung einer langfristigen Therapie mit einem RAS-Hemmer bei fortgeschrittener und fortschreitender CKD liegt nun vor – mit der randomisierten und partiell verblindeten Studie von Bhandari et al. Die Autor*innen fanden letztlich keinen Hinweis auf einen renalen oder kardialen Nutzen des Absetzens der RAS-Hemmer, eher im Gegenteil. Numerisch war der Anteil von Patient*innen, die eine Nierenersatztherapie brauchten, sogar größer in der Gruppe, bei der RAS-Hemmer abgesetzt wurden. Auch sonst gab es keine Hinweise auf einen Nutzen des Absetzens des RAS-Hemmers; die Blutdruckeinstellung verschlechterte sich, und zumindest tendenziell traten mehr kardiovaskuläre Ereignisse auf. Obwohl bei Studieneinschluss in beiden Gruppen das Serum-Kalium um 5mmol/L lag, traten im Verlauf nur erstaunlich selten Hyperkaliämien auf (2 Fälle in der Absetz-Gruppe und 4 Fälle in der RAS-Hemmer-Fortsetzungs-Gruppe).

Zu den Limitationen der Studie gehört die etwas ungewöhnliche Verteilung der Nieren-Grundkrankheiten; nur 20% hatten eine Nierenschädigung bei Diabetes, aber 20% dominant vererbte Zystennieren. Außerdem war die Zahl der Drop-outs von ca. 10% nicht trivial. Die wichtigste Limitation dürfte sein, dass weder die Dauer der Beobachtungszeit noch die Zahl der Studienteilnehmer*innen ausreichend war, um sekundäre Studienziele, nämlich die Effekte auf Mortalität und auf kardiovaskuläre Morbidität, angemessen zu untersuchen, was die Autor*innen auch einräumen. Primäres Studienziel war die Veränderung der Nierenfunktion und danach richtete sich die statistische Berechnung der Studiengröße und -dauer.

In diesem Zusammenhang ist es von Interesse, andere rezente Studien mitzubetrachten, die zwar ein „schwächeres“, nämlich retrospektives Design aufweisen, aber Tausende Patientenfälle einschlossen. Qiao et al. [5] identifizierten 3909 Patientenfälle eines lokalen Gesundheitssystems in Pennsylvania, bei denen während einer Dauertherapie mit einem RAS-Hemmer die GFR unter 30 ml/min gefallen war. Verglichen wurden dann retrospektiv diejenigen 1235 Patient*innen, bei denen RAS-Hemmer in den nächsten 6 Monaten abgesetzt wurden, mit den 2674 Patient*innen, bei denen RAS-Hemmer weiter verabreicht wurden (die Entscheidung wurde nicht systematisch gefällt, sondern nach Maßgabe behandelnder Ärzt*innen). In den folgenden 5 Jahren wiesen die Patient*innen, deren RAS-Hemmer abgesetzt worden waren, eine fast 40% höhere Mortalität und kardiovaskuläre Morbidität auf als bei Fortführung der RAS-Hemmung; das Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz war nicht signifikant unterschiedlich. Ein sehr ähnliches Design nutzten Fu et al. [6] für die Analyse des schwedischen Nephrologie-Registers. Diese Autor*innen bestätigten die höhere Mortalität und kardiovaskuläre Morbidität nach Beendigung der RAS-Hemmung, fanden allerdings auch eine 23%ige Reduktion der Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie bei Absetzen der RAS-Hemmung, im Vergleich zum Fortführen der RAS-Hemmung. Auch Leon et al. [2] nutzten in Kanada ein ähnliches retrospektives Design, wobei hier der „Trigger“ für das Absetzen der RAS- Hemmer eine Hyperkaliämie war. Wiederum wurden die höhere kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität nach Absetzen der RAS-Hemmung im Vergleich zur Fortführung bestätigt, wohingegen das Risiko einer Nierenersatztherapie nach Absetzen der RAS-Hemmer hier erhöht war, immer im Vergleich zum Absetzen der RAS-Hemmung.

Welche praktische Schlussfolgerung sollte man nun aus der Arbeit von Bhandari et al. ziehen? Der wichtigste Punkt der Arbeit ist unseres Erachtens sehr valide: Die Beendigung einer RAS-Hemmung bringt keinen Nutzen für das Fortschreiten einer CKD bis zur Dialyse, mit anderen Worten: verlängert nicht die dialysefreie Zeit. Schadet vielleicht sogar die Beendigung der RAS-Hemmung bei progredientem Nierenversagen? Zur Beantwortung dieser Frage war die Studie von Bhandari et al. nicht angelegt. Die Tendenz der vermehrten renalen und kardialen Ereignisse nach Beendigung der RAS-Hemmung in der Arbeit von Bhandari et al. und die gleichlautenden Ergebnisse der o.a. rezenten retrospektiven Analysen sprechen eher für einen Schaden durch das Absetzen der RAS-Hemmung. In Einzelfällen mag es natürlich zuweilen gute Gründe geben, die Gabe von RAS-Hemmern zu beenden, z.B. bei Nierenarterienstenosen – generell ist es aber nicht zu empfehlen.



Publication History

Article published online:
26 June 2023

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  • Literatur

  • 1 Mann J, Ritz E. Preservation of kidney function by use of converting-enzyme inhibitors for control of hypertension. Lancet 1987; 2: 622 DOI: 10.1016/s0140-6736(87)93006-6. (PMID: 2887901)
  • 2 Leon SJ, Whitlock R, Rigatto C. et al. Hyperkalemia-Related Discontinuation of Renin-Angiotensin-Aldosterone System Inhibitors and Clinical Outcomes in CKD: A Population-Based Cohort Study. Am J Kidney Dis 2022; 80 (02) 164-173 e1 DOI: 10.1053/j.ajkd.2022.01.002. (PMID: 35085685)
  • 3 Ahmed AK, Kamath NS, El Kossi M. et al. The impact of stopping inhibitors of the renin-angiotensin system in patients with advanced chronic kidney disease. Nephrol Dial Transplant 2010; 25 (12) 3977-3982
  • 4 Hou FF, Zhang X, Zhang GH. et al. Efficacy and safety of benazepril for advanced chronic renal insufficiency. N Engl J Med 2006; 354 (02) 131-140 DOI: 10.1056/NEJMoa053107. (PMID: 16407508)
  • 5 Qiao Y, Shin JI, Chen TK. et al. Association Between Renin-Angiotensin System Blockade Discontinuation and All-Cause Mortality Among Persons With Low Estimated Glomerular Filtration Rate. JAMA Intern Med 2020; 180 (05) 718-726
  • 6 Fu EL, Evans M, Clase CM. et al. Stopping Renin-Angiotensin System Inhibitors in Patients with Advanced CKD and Risk of Adverse Outcomes: A Nationwide Study. J Am Soc Nephrol 2021; 32 (02) 424-435