Klinische Neurophysiologie 2022; 53(04): 253-254
DOI: 10.1055/a-1960-9457
Neuro-Quiz

„Das Essen schmeckt hier ja, aber die Portionen sind recht klein“

Jan Heckelmann
1   Neurologische Klinik, Universitätsklinik der RWTH Aachen
,
Manuel Dafotakis
1   Neurologische Klinik, Universitätsklinik der RWTH Aachen
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Auf Visite beschwerte sich ein Patient, dass die Essensportionen – obgleich schmackhaft – recht „klein“ ausfielen. Im Flur sehen Sie das in [Abb. 1] dargestellte abgeräumte Essenstablett des Patienten.

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Abb. 1 Essenstablett des Patienten.
  • � Was sehen Sie?

  • � An welches Syndrom denken Sie?

  • � Was ist die häufigste Ursache des Syndroms?

Auflösung

Befund

Das Essentablett zeigt einen nur rechtsseitig in der Schale aufgegessenen Grießbrei, sowie linksseitig nicht angerührte Kekse bzw. Yoghurt.

Syndrom

Der Befund ist vereinbar mit einem Neglect-Syndrom.

Erklärung und Häufigkeit

Das Neglect-Syndrom ist ein neuropsychologisches Syndrom aus der Gruppe der Agnosien. Hierbei kommt es zu einer Störung der räumlichen Aufmerksamkeit für die der Läsion gegenüberliegende Seite. Betroffene Qualitäten können hierbei sowohl Motorik, als auch Sensorik (Sensibilität, visuelle und auditorische Aufmerksamkeit) sein. Je nach Schweregrad der Erkrankung besteht lediglich eine verminderte Wahrnehmung bei beidseitiger Stimulation (sogenanntes Extinktionsphänomen) bzw. Testung, bis hin zu einer vollständig fehlenden Nichtbeachtung der jeweiligen Raumhälfte, wie in o.g. Beispiel zu erkennen. Es handelt sich jedoch um eine reine Verarbeitungsstörung, so dass differentialdiagnostisch konkurrierende Ursachen wie eine Hemianopsie (bei visuellem Neglect) oder eine Hemiparese/Hemihypästhesie (motorischer/sensibler Neglect) ausgeschlossen werden müssen, was gerade in der Akutsituation nicht immer sicher möglich ist.

Häufige Ursache ist eine Läsion des, zumeist rechten, Lobus parietalis inferior [1] bzw. des Gyrus temporalis superior [2], meist im Rahmen eines ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfalls, wobei natürlich auch degenerative oder neoplastische Prozesse dieses Syndrom hervorrufen können. Sich langsam entwickelnde Prozesse können dabei oft gut kompensiert werden und das Ausmaß der Störung ist dann nicht immer so eindrücklich wie bei unserem Patienten, der einen ca. 7 Tage alten rechtsparietalen ischämischen Schlaganfall erlitten hatte ( vgl. [Abb. 2]).

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Abb. 2 cMRT, obere Reihe DWI, untere Reihe FLAIR: rechtsseitig demarkierter ischämischer Schlaganfall.


Publication History

Article published online:
29 November 2022

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