Aktuelle Urol 2022; 53(06): 494-496
DOI: 10.1055/a-1946-3201
Referiert und kommentiert

Kommentar zu Lymphonodektomie beim Urothelkarzinom des oberen Harntrakts

Contributor(s):
Gerald Schulz
1   Urologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Universität München, Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
› Author Affiliations

Während die Bedeutung einer Lymphadenektomie (LND) im Rahmen der Zystektomie beim Harnblasenkarzinom zweifelsfrei bewiesen ist, momentan das optimale Template zur Diskussion steht, ist die Evidenz für die LND bei der Nephroureterektomie beim Urothelkarzinom des oberen Harntrakts (UTUC) schwach. Dies spiegelt sich in der aktuellen europäischen Leitlinie [1]. Diese empfiehlt beim Hochrisiko-UTUC zwar eine LND, die Evidenz für einen Überlebensvorteil ist jedoch auf der von 1 (starke Evidenz) bis 4 (schwache Evidenz) reichenden Skala mit 3 klassifiziert. Eine direkte Extrapolation vom Harnblasenkarzinom ist aufgrund der unterschiedlichen Anatomie der Lymphabflusswege und genetischer Unterschiede kaum zulässig.

Aus diesem Grund ist die vorliegende Studie thematisch von großem Interesse. Die Autoren leiten aus ihrer retrospektiven Analyse 4 Kernaussagen ab. 1.) Die LND ist nicht mit dem Gesamt- oder krebsspezifischen Überleben assoziiert. 2.) Die LND hat bei großen und high-grade Tumoren einen prognostischen Nutzen. 3.) Eine LND mit mehr als 10 Lymphnoten scheint bei pN0 Patienten mit einem längeren rezidivfreien Überleben assoziiert zu sein. 4.) Die LND geht mit keiner erhöhten Komplikationsrate einher.

Wie sind diese Aussagen aber zu bewerten, welche wichtigen Limitationen gibt es?

Betrachtet man die Kohortenzusammensetzung, fällt die relativ geringe Anzahl an durchgeführten LND (40,8%) sowie tumorpositiven Lymphknoten (pN+) (8,3%) auf. Es handelt sich um ein retrospektives Design und die LND wurden nach uneinheitlichen anatomischen Templates durchgeführt. Bedeutend ist, dass die Indikation zur LND nicht anhand klar definierter Kriterien getroffen wurde und auch low-grade Tumoren eingeschlossen wurden, bei welchen kaum von einer Lymphknotenmetastasierung auszugehen ist. Hierdurch besteht ein relevantes Risiko einer Ergebnisverzerrung. Ganz entscheidend ist der Studienzeitraum, welcher die Jahre 2006 bis 2019 einschießt. Mit der POUT-Studie von Birtle et al. [2] kam es ab 2019 zu einer grundlegenden Änderung der Therapie von UTUC-Patienten, welche seitdem mit hoher Evidenz die adjuvante platinbasierte (Cisplatin oder Carboplatin) Therapie bei pT2–pT4, pN (any) oder pT (any), pN1–3 M0 UTUC beinhaltet (Grad-1 Evidenz). Seit diesem Jahr gibt es eine Zulassung für die adjuvante PD-1-Inhibitor-Immuntherapie beim Urothelkarzinom, welche das UTUC miteinschließt [3]. In der Studienkohorte von Hakimi et al. wurden 10,1% der Patienten einer adjuvanten Chemotherapie zugeführt. Ob die Ergebnisse auf die aktuelle Situation zutreffen, welche mit gewisser Wahrscheinlichkeit mittelfristig auch die neoadjuvante Therapie miteinschließt, ist fraglich.

Welche Schlussfolgerungen für die Klinik lassen sich somit aus der Studie ableiten? Ein rein prognostischer Nutzen der LND ist für den Patienten kaum von Relevanz, solange dies nicht zu einer prognoseverändernden Therapieanpassung führt. Da ab einem pT2-Stadium die Indikation zur adjuvanten Therapie vorliegt, scheint eine LND nur bei einer kleinen Subgruppe zu einer Therapieänderung zu führen (bspw. ein pT1 UTUC, welches tumorpositive Lymphknoten/pN+ aufweist). Die Beobachtung eines verlängerten RFS bei einer LND mit ≥10 vs. <10 Lymphknoten bei pN0 Patienten wurde weder in multivariaten Analysen validiert noch konnte dieser Effekt hinsichtlich des Gesamtüberlebens bestätigt werden. Somit bleiben als einzig belastbare Aussagen, dass eine LND nicht mit einer erhöhten Komplikationsrate einhergeht und bei low-grade Tumoren nicht indiziert ist.

Für die Zukunft werden dringend Studien benötigt, welche das radiologische/nicht invasive Lymphknotenstaging verbessern, und somit eine bessere Allokation von Patienten in Richtung Nephroureterektomie oder induktive/neoadjuvante Chemotherapie ermöglichen. Eine prospektive Studie, welche die LND beim UTUC anhand eines definierten anatomischen Templates stratifiziert nach (neo)adjuvanter Therapie untersucht, ist notwendig, um klare Empfehlungen aussprechen zu können.



Publication History

Article published online:
24 November 2022

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  • Literatur

  • 1 EAU Guidelines on Upper Urinary Tract Urothelial Carcinoma. EAU Guidelines. Edn. presented at the EAU Annual Congress Amsterdam. 2022. EAU Guidelines Office; Arnhem, The Netherlands: ISBN: 978-94-92671-16-5
  • 2 Birtle A. et al. Adjuvant chemotherapy in upper tract urothelial carcinoma (the POUT trial): a phase 3, open-label, randomised controlled trial. Lancet 2020; 395: 1268-1277 DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30415-3.
  • 3 Bajorin DF. et al. Adjuvant Nivolumab versus Placebo in Muscle-Invasive Urothelial Carcinoma. N Engl J Med 2021; 384: 2102-2114 DOI: 10.1056/NEJMoa2034442. (PMID: 34077643)