Informationen aus Orthodontie & Kieferorthopädie 2022; 54(04): 267-268
DOI: 10.1055/a-1925-4463
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Fernröntgenseitenbild bei Kindern<10 Jahren – wann ist es indiziert?

B.A. Jung
1   Klinik für Kieferorthopädie, Universitätsklinikum Freiburg
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Ziel des Strahlenschutzes ist es deterministische Strahlenwirkungen zuverlässig zu verhindern und das Risiko für stochastische Schäden auf ein vernünftigerweise erreichbares Maß zu reduzieren [1] [2]. Da Röntgenstrahlen stochastische Wirkungen für das biologische Gewebe bedeuten, gelten übergeordnet drei Grundsätze für den Umgang mit ionisierender Strahlung: Das Gebot der Rechtfertigung, das Gebot der Dosisbegrenzung und das Gebot der Optimierung [2].

Eine Strahlenexposition ist demnach nur dann zulässig, wenn für den Patienten ein medizinischer Nutzen erwartet werden kann, der das Strahlenrisiko überwiegt [1] [3] [4]. Also dann, wenn die klinische Untersuchung allein für eine Diagnose nicht ausreicht und zusätzliche Informationen eines Röntgenbildes die Therapieplanung beeinflussen können. Damit ist in jedem Fall die Frage nach dem gesundheitlichen Nutzen durch den behandelnden (Zahn)Arzt zu beantworten und jede geplante Röntgenaufnahme im Vorfeld zu rechtfertigen (Rechtfertigende Indikation, [5]).

Kieferorthopädische Behandlungen beginnen meist im Kindes- und Jugendalter. Der Beginn der Behandlung ist allerdings abhängig von der jeweiligen (zahn)medizinischen Indikation, die sich aus dem Charakter der Dysgnathie [6], den Wachstumsprozessen und der Biologie der jungen Patienten ergeben. Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn im Sinne einer Frühbehandlung kann in Ausnahmefällen bei schweren Kiefer- und Zahnfehlstellungen notwendig sein. Darunter versteht man zeitlich begrenzte Behandlungsmaßnahmen im Milch- und frühen Wechselgebiss vor dem 10. Lebensjahr [7]. Sie dienen unter anderem zur Prävention von ausgeprägten Dysgnathien, die zur Progredienz neigen und/oder zu unmittelbaren Wachstumsstörungen führen können [6]. Mögliche Indikationen betreffen zum Beispiel die Distalbisslage, laterale und/oder frontale Kreuzbisse.

Zur Basis einer kieferorthopädischen Behandlungsplanung gehört in der Regel nicht nur die klinische Untersuchung der Kiefer, der Muskulatur, der Funktion einschließlich der Kiefergelenke, der Zahnstellung, die Analyse der Zahnbogenformen und der Okklusion, sondern auch der Röntgenbefund. Dieser besteht in der Regel aus einer Panoramaschichtaufnahme (PSA) und einem Fernröntgenseitenbild (FRS). Da Kinder und Jugendliche für Strahlenschäden weit empfindlicher sind als Erwachsene, müssen in der Tat Maßnahmen zum Strahlenschutz besonders streng eingehalten werden [1] [2]. Reicht allerdings die klinische Untersuchung und der Befund der PSA allein für eine Diagnose nicht aus und liefert wichtige Hinweise bzw. Anhaltspunkte für eine mögliche skelettale Dysgnathie, ist eine rechtfertigende Indikation für ein Fernröntgenbild im Sinne des Strahlenschutzes gegeben. Zusätzliche Informationen aus dem FRS können damit die Therapieplanung relevant beeinflussen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
02. Dezember 2022

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