Dtsch Med Wochenschr 2022; 147(22): 1430-1431
DOI: 10.1055/a-1925-0005
Aktuell publiziert

Inkretine: Hoffnungsschimmer für Jugendliche mit Adipositas und/oder Typ-2-Diabetes

Kommentar zu „Jugendliche mit Typ-2-Diabetes profitieren von Dulaglutid“

Einer neuen Studie zufolge hatten in einer doppelblinden, placebokontrollierten, 26-wöchigen Studie mit einer einmal wöchentlichen Injektion des Inkretins Dulaglutid (Trulicity) etwa dreimal so viele Jugendliche mit Typ-2-Diabetes (T2D) einen HbA1c von weniger als 7,0 % als in der Placebogruppe. Die Ergebnisse der AWARD-PEDS-Studie sind insbesondere auch dadurch ermutigend, da sie das Potenzial von Inkretinen für Bevölkerungsgruppen wie ethnischen Minderheiten darstellen, die in klinischen Studien oft unterrepräsentiert sind. Das allgemeine Sicherheitsprofil war mit dem bei Erwachsenen beobachteten vergleichbar. Von den 154 Teilnehmern, die randomisiert wurden, schlossen 146 (95 %) die 26-wöchige Doppelblindphase und 139 (90 %) die 52-wöchige Behandlungsphase ab.

T2D muss auch bei Jugendlichen im Kontext der mit Adipositas assoziierten Erkrankungen gesehen werden. In Deutschland beobachten wir einen ansteigenden Trend an juvenilem Übergewicht bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren auf 16,2 % bei Mädchen bzw. 18,5 % bei Jungen [1] [2]. Kinder und Jugendliche mit niedrigem sozio-ökonomischen Status sind etwa 4-mal häufiger betroffen. Die zurückliegenden Restriktionsmaßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie in Deutschland haben diesen Trend noch verstärkt [3]: Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen in der Region Hannover zeigten einen signifikanten Anstieg von Übergewicht und Adipositas von 8,9 % im Jahr 2017 auf 14,4 % im Jahr 2022 (p < 0.001).

Störungen im Zuckerstoffwechsel bestehen bereits bei ca. 12 % von Jugendlichen mit Adipositas. Die jährliche Inzidenz von juvenilem T2D zeigt ebenso einen steigenden Trend und liegt aktuell mit ca. 170 Neu-Erkrankungen noch hinter dem internationalen Spitzenreiter USA, wobei insgesamt von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Ende 2020 stieg die Prävalenz von T2D in Nordrheinwestfalen mehr als doppelt so schnell wie die von Typ-1-Diabetes an [2].

Bislang gibt es nur wenige vielversprechende medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten für Jugendliche mit T2D oder Adipositas. Die Ergebnisse der multizentrischen TODAY-Studie (von 2004 bis 2011), in der drei Behandlungsansätze (Metformin, Metformin plus Rosiglitazon oder Metformin plus eine intensive Lebensstilintervention) verglichen und bei der nach Abschluss der Studie die Teilnehmer auf Metformin mit oder ohne Insulin umgestellt wurden, sind ernüchternd: Am Ende der Beobachtungsphase (Januar 2020) wiesen die Probanden (500 Teilnehmer, mittleres alter 26 Jahre, mittlere Diabetesdauer 13 Jahre) eine kumulative Inzidenz für Bluthochdruck von 67,5 %, für Dyslipidämie von 51,6 %, für diabetische Nephropathie von 54,8 % und für Nervenerkrankungen von 32,4 % auf. Die Mehrzahl der jungen Teilnehmer zeigte demnach bereits Komplikationen [4].

Aktuell ist in Deutschland nur ein Inkretin-Analogon zur Behandlung von Jugendlichen mit T2D bzw. zur Gewichtsreduktion für Erwachsene und Kinder ab zwölf Jahren (BMI > 30 kg/m2) zugelassen: der Glucagon-like-Peptid(GLP)-1-Rezeptor-Agonist Liraglutid (Saxenda, vgl. Victoza) enthält ebenfalls Liraglutid und ist zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes zugelassen), welcher einmal täglich in einer Dosis bis 3 mg subkutan injiziert wird.

Auch für Tirzepatid (ein „Twincretin“), also ein dualer Rezeptoragonist, der sowohl an GLP-1- als auch an GIP-Rezeptoren bindet, liegen erste hoffnungsvolle Ergebnisse vor: Es ist nicht nur wirksamer als GLP1-Agonisten in der Behandlung des T2D, sondern konnte bei der Behandlung von Übergewicht ohne manifesten Diabetes in einer aktuellen Phase-III-Studie dosisabhängig ein Gewichtsverlust von 22,5 Prozent beziehungsweise 24 kg mit einer Verbesserung aller Folgeerkrankungen in einem Ausmaß erreicht werden, wie man es bislang nur von bariatischer Chirurgie kannte [5]. Die Studie bei Adoleszenten läuft noch.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im August 2021 die Detailarbeit zum strukturierten Behandlungsprogramm (Disease Management Programm, DMP) Adipositas aufgenommen. Die detaillierten Anforderungen will der G-BA bis zum 31. Juli 2023 beschließen. Es bleibt zu hoffen, dass es auch vordringlich Aspekte zur Adipositas bei Kindern und Jugendlichen und Prävention des T2D bei Jugendlichen beinhaltet. Neben einer langfristigen Fortführung der allgemeinen Verhaltensänderungen unter Verwendung moderner Behandlungsansätze [3] z. B. im Hinblick auf Ernährung, Bewegung, Schlaf, Medienkonsum etc. sollten angesichts der schlechten Prognose auch Aspekte einer medikamentösen Behandlung Berücksichtigung finden.



Publication History

Article published online:
01 November 2022

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  • Literatur

  • 1 Thomas Danne, Martin Holder, Thomas Kapellen Diabetes bei Kindern und Jugendlichen. In: Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2022 Herausgeber Deutsche Diabetes Gesellschaft. S. 145–157. https://www.ddg.info/fileadmin/user_upload/Gesundheitsbericht_2022_final.pdf aufgesucht am 13.9.2022
  • 2 Baechle C, Stahl-Pehe A, Prinz N. in cooperation with the German Paediatric Surveillance Unit (ESPED), the DPV initiative and the German Center for Diabetes Research (DZD). et al. Prevalence trends of type 1 and type 2 diabetes in children and adolescents in North Rhine-Westphalia, the most populous federal state in Germany, 2002-2020. Diabetes Res Clin Pract 2022; 190: 109995 DOI: 10.1016/j.diabres.2022.109995.
  • 3 Reschke F, Galuschka L, Landsberg S. et al. Successful telehealth transformation of a pediatric outpatient obesity teaching program due to the COVID-19 pandemic – the “Video KiCK” program. J Pediatr Endocrinol Metab 2022; DOI: 10.1515/jpem-2022-0104.
  • 4 Bjornstad P, Drews KL, Caprio S. TODAY Study Group. et al. Long-Term Complications in Youth-Onset Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2021; 385 (05) 416-426
  • 5 Jastreboff AM, Aronne LJ, Ahmad NN. et al. SURMOUNT-1 Investigators. Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. N Engl J Med 2022; 387 (03) 205-216