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DOI: 10.1055/a-1910-9789
Die „Ehrengabe“ der DGG: ein kurzlebiger Vorläufer der Carl-Kaufmann-Medaille
Die 1985 von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums gestiftete „Carl-Kaufmann-Medaille“ ist nach Einschätzung der Fachgesellschaft „die höchste Auszeichnung, die einer Gynäkologin bzw. einem Gynäkologen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz zugesprochen werden kann.“ Weitgehend in Vergessenheit geriet, dass diese Auszeichnung in der Weimarer Republik eine kurzlebige Vorläuferin hatte: Die 1929 geschaffene „Ehrengabe“ der seinerzeitigen Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie (DGG). Diese „Ehrengabe“, mitunter auch als „Ehrenpreis“ bezeichnet, sollte ursprünglich alle 6 Jahre an ein „besonders verdienstvolles Mitglied“ gehen, wurde auf Vorstandsbeschluss verliehen und war mit 5000 Mark dotiert. Allerdings blieb die damalige Auszeichnung des emeritierten Königsberger Ordinarius Georg Winter (1856–1946) ein singuläres Ereignis: Schon eine 1935 im Nationalsozialismus geplante zweite Ehrung scheiterte. Die Gründe dafür lassen sich zumindest zum Teil mithilfe von Archivalien rekonstruieren. Der so kurzlebige erste Ehrenpreis der DGG und sein unrühmliches Ende erlauben somit einen Blick hinter die Kulissen einer fachgesellschaftlichen Ehrung in ihrem historischen Kontext.
1 Die 1885 gegründete Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) hat die Geburtshilfe in den 1970er-Jahren in ihren Namen aufgenommen und firmiert erst seitdem als DGGG.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
30. September 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur und Anmerkungen
- 1 Sellheim H. Der Vorsitzende (Schlusswort). Arch Gynäk 1929; 137: 866
- 2 Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.. Zur Carl-Kaufmann-Medaille. Zugriff am 20. Juni 2022 unter: https://www.dggg.de/die-dggg/geschichte/auszeichnungen
- 3 Arch Gynäk 1925; 125, S. XLV. [Generalversammlung der DGG].
- 4 Ebert AD, David M. “Es muss gelingen!” – Georg Winter (1856–1946) und die Anfänge der „Krebsbekämpfung durch Früherfassung“ in Ostpreußen. Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76: 235-238
- 5 Frobenius W, Dross F. “A Revolution in Favor of Reproduction”? Gynecology and Obstetrics in the “Third Reich”. Gynecol Obstet Invest 2020; 85: 485-488 Hinselmann, der als „Vater der Kolposkopie“ gilt, wurde 1956 zum DGG-Ehrenmitglied ernannt. In der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts begannen in- und ausländische Wissenschaftler jedoch, seine Verbindung zu Medizinverbrechen im Nationalsozialismus immer stärker zu thematisieren. Schließlich entzog ihm die Gesellschaft die Ehrenmitgliedschaft und distanzierte sich von ihm.
- 6 Winter G. Bericht über die allgemeine Kaiserschnittstatistik. Arch Gynäk 1929; 137: 799-800
- 7 Sellheim H. [Schlusswort]. Arch Gynäk 1931; 144: 258-266
- 8 Winter G. Der praktische Arzt in der operativen Geburtshilfe. Arch Gynäk 1929; 137: 800-804 Zu dieser Debatte: Frobenius W. „[…] muß der Kutscher die Narkose machen“. Geburtshilfe durch praktische Ärzte im 19. und 20. Jahrhundert – ein wenig beachteter Aspekt der Professionalisierung. Frauenarzt 2022 [in Vorbereitung].
- 9 Sellheim H. Der Vorsitzende (Schlußwort). Arch Gynäk 1929; 137: 866
- 10 Gynäkologen-Kongreß 1929 in Leipzig. (Geschäftssitzung). Arch Gynäk [Anonym]. 1929; 137: XLV-L
- 11 Universitätsarchiv Tübingen, Signatur 150/33,41. [Nachlass Prof. August Mayer, unpaginiert].
- 12 Der DGG-Vorstand war 1909 auf Antrag des Bochumer Geheimen Sanitätsrats Everke um zwei Mitglieder erweitert worden, die den „Universitätskreisen nicht angehören“ sollten. Fehling H, Pfannenstiel J, Schickele G, Hrsg. Verhandl. d. Dtsch. Gesellsch. f. Gynäk., 13. Versammlung, abgehalten zu Straßburg Els. am 2.–5. Juni 1909. Leipzig 1909: 20–21
- 13 Schubert G. Die künstliche Scheidenbildung aus dem Mastdarm nach Schubert. Stuttgart: Enke; 1936
- 14 Dross F, Frobenius W, Thum A. et al. „Ausführer und Vollstrecker des Gesetzeswillens “– die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie im Nationalsozialismus. " Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76: S107-S109
- 15 Ibid., S107–S109
- 16 Wie Anm. 11: Besprechung im Bahnhofshotel von Stuttgart am 23.02.1935.
- 17 Wie Anm. 11: Besprechungen mit Seitz resp. Martin am 25.V.1935.
- 18 Gemeint sind damit wohl die Berufungen von Heinrich Eymer (München I, 1933) und Friedrich Schultze-Rhonhof (Breslau, 1934). Während es für die Berufung Eymers Belege zu politischer Einflussnahme gibt, fehlen sie für Schultze-Rhonhof. Letzterer folgte dem in die Emigration gezwungenen Ludwig Fraenkel nach. Zu Eymer: Frobenius, W. Die Wiederbesetzung der gynäkologisch-geburtshilflichen Lehrstühle in Bayern nach 1945. In: Anthuber C, Beckmann MW, Dietl J, Dross F, Frobenius W, Hrsg. Herausforderungen. 100 Jahre Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde. Stuttgart, New York: Thieme; 2012: 149–185, hier: S. 166. Zu Schultze-Rhonhof: Andreas D. Ebert/Matthias David. Vergessene und verdrängte Geschichte(n): die Frauenklinik und Poliklinik der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau von ihrer Gründung 1811 bis 1945. Teil 2: Vom Dienstantritt Friedrich Schultze-Rhonhofs (1892–1951) bis zum Untergang der Klinik. Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81: 848–851
- 19 Sellheim wurde mindestens zweimal für die Nobelpreis vorgeschlagen (1904 und 1927). Darauf hat in der Diskussion über den Ehrenpreis – soweit ersichtlich – allerdings niemand hingewiesen. Zu Nobelpreiskandidaten aus der deutschen Frauenheilkunde: Hansson N, Halling T, Moll F, Fangerau H. Berühmte Gynäkologen. Deutsche Nobelpreiskandidaten in der Gynäkologie 1901–1920. Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77: 247–250. DOI: 10.1055/s-0042–115856; ferner: Ebert AD, David M. Ernst Philipp (1893–1961) und die Nominierung für den Nobelpreis für Medizin und Physiologie 1957. Geburtshilfe Frauenheilkd 2013; 73: 996–997
- 20 Wie Anm. 11: Durchschlag eines Briefes von Mayer mit Datum vom 11.10.1935 zur geplanten Vorstandssitzung am Vortag des Kongresses im Münchner Hotel „Vier Jahreszeiten“. Der Brief war vermutlich an Stoeckel gerichtet, in der Anrede heißt es jedoch nur:“ Sehr verehrter Herr Geheimrat!“
- 21 Wie Anm. 11: Tagesordnungsentwurf ohne Datum.
- 22 Wie Anm. 11: Gegenstände der letzten Vorstandssitzung und eigene Beobachtungen; undatiert.
- 23 Wie Anm. 11: Vorstandssitzung vom 22.10.1935, 12 Uhr.
- 24 Wie Anm. 8, hier S. 803.
- 25 Hierzu etwa: Lena Elisa Freitag. Im Spannungsfeld zwischen akademischen Ehrvorstellungen und Wissenschaftspolitik. In: von Reeken D, Thießen M, Hrsg. Ehrregime. Akteure, Praktiken und Medien lokaler Ehrungen in der Moderne. Göttingen: V&R unipress; 2016: 137–147