JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2022; 11(04): 138-139
DOI: 10.1055/a-1866-8637
Kolumne

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!

Heidi Günther
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Quelle: Friedrich Günther

Vor drei Wochen war meine Welt noch in Ordnung. Mein Bruder war zu Besuch. Die Kinder am Vorabend zum Essen. Ein Burger-Laden hat das Abendbrot geliefert. Der Alkohol kam schon vor einiger Zeit mit dem Paketlieferdienst im Auftrag des Weinhändlers meines Vertrauens. Die Kinder sind mit einem Carsharing-Auto an- und mit einem privaten Fahrtenvermittlungsdienst wieder abgereist. Jedenfalls war es ein sehr schöner Abend, und am nächsten Morgen wollte mein Bruder los und unsere Mutter besuchen. Ich hatte die grandiose Idee, dass ich, während er zu seinem Auto geht, ja gleich mal kurz den Hund runterlassen könnte. Mein Bruder fuhr ab. Mein Theo erledigte sein Geschäft, und alles hätte so schön sein können … Aber dann – sonst ein Grund zur Freude – trafen wir eine Hundefreundin von Theo und ich habe mich breitschlagen lassen, kurz mit auf die Hundewiese zu gehen. Damit die kleinen Racker sich mal kurz austoben können. Ich hatte ehrlich gesagt geglaubt, danach noch mal ein Stündchen oder zwei in mein Bett zu gehen. Tja, und dann kam es anders, ganz anders.

Wir waren, wie sonst eigentlich am Sonntagmorgen unüblich, nicht allein. Jede Menge müde Hundehalter und dazu passende, umso fröhlichere und ausgeschlafene Hunde. Theo hatte sich für heute als Spielpartner eine Pudelhündin, eine Labradordame und einen Berner-Sennenhund-Rüden auserkoren. Die Hunde hatten ihren Spaß und drehten ihre Runden. Sie jagten sich gegenseitig und rannten und rannten … zum Schluss in mich hinein. Insgesamt etwa 100 Kilogramm pure Hundekraft knockten mich aus. Ich fand mich im Matsch der Hundewiese wieder. Mir war vor Schmerz übel. Erst als ich versuchte aufzustehen, wurde mir und allen zu Hilfe geeilten Hundebesitzern klar: Jetzt wird es unschön. Ein Krankenwagen wurde geholt. Dieser fuhr mich in die erstbeste Klinik in der Umgebung und meine Odyssee nahm ihren Lauf. Nothilfe, Röntgen, Schiene. Laut diensthabendem Arzt sollte es eine glatte Tibiakopffraktur sein. Ich solle mich um einen MRT-Termin bemühen und mit diesem Befund in der unfallchirurgischen Sprechstunde des Hauses vorstellen. Mit viel Beziehungen (zum Glück kenne ich ja den einen oder anderen) erschien ich zwei sehr schmerzhafte Tage später in der Sprechstunde und aus war es mit glatter, gut stehender Fraktur. Alles, was in Höhe Tibiakopf und Knie kaputtgehen kann, war dahin. Der OP-Termin wurde sehr zeitnah festgelegt und ehe ich mich überhaupt versah, fand ich mich im OP wieder. So weit, so unschön.

Am fünften Tag nach der OP bin ich mit viel Enthusiasmus, großem Willen und – wie ich jetzt weiß – viel Naivität wieder nach Hause gekommen. Meine Begleiter waren und sind immer noch Unterarmgehstützen, Donjoi-Schiene und Rollstuhl. Zehn Kilogramm Teilbelastung auf dem operierten Bein, so habe ich schweißtreibend lernen müssen, sind nicht viel. Und das für die nächsten sechs Wochen! Noch dazu habe ich die postoperativen Schmerzen völlig unterschätzt. Von meiner immer schlechter werdenden Stimmung will ich gar nicht reden. Ein Albtraum! Dachte ich doch zunächst, kaum Hilfe zu benötigen. Mir war schon klar, dass ich vorerst nicht in den Supermarkt oder große Runden mit dem Hund gehen kann. Es zeigte sich aber sehr schnell, fast alles wird zum Problem. Von grundlegenden Dingen des Alltags bis hin zum Hausarztbesuch. Ohne Hilfe ging zumindest am Anfang nicht viel. Aktuell „wohne“ ich auf meinem Sofa, bin umringt von allen nötigen Dingen wie Medikamente, Getränke, Telefon, Bewegungsschiene, und schaue die gängigen Streamingdienste leer. Mein Sohn hat Urlaub genommen. Er macht und tut alles, was notwendig ist, kümmert sich um meinen Hund und versucht Optimismus zu verbreiten. Ich kann ihm nicht genug danken. Dennoch hatte ich für sehr lange Zeit ganz bestimmt nicht den Plan, mich von meinem Sohn versorgen zu lassen. Zumal ich durch die Erfahrungen mit meinen Eltern weiß, wie schnell der Betreuende an seine Grenzen kommen kann. Aber wer plant schon eine Erkrankung und wann wäre diese denn recht? Nun ist es, wie es ist, und wir machen das Beste daraus.

In Deutschland gibt es mehr als 16 Millionen Singlehaushalte. Jeder fünfte Mensch in Deutschland fühlt sich einsam und allein. In den letzten Wochen habe ich erfahren, wie wichtig Familie, Freunde oder schlicht ein gutes soziales Netz sind. Ohne meinen Sohn, meinen Bruder, meine Freunde und Bekannten hätte ich diese Zeit nicht meistern können. Eine Erfahrung, die mich fast ein bisschen demütig werden lässt. Immerhin habe ich erst „Halbzeit“, weiß aber aus den bisher gemachten Erfahrungen, dass wir auch die restliche Zeit gut über die Bühne bringen werden.

Unterhaltsam in diesem Zusammenhang fand ich aber, wie schnell meine Gesundheitskasse reagiert hat. Nicht um bei mir anzufragen, ob und wie ich nach dem Krankenhausaufenthalt versorgt bin, ob ich Hilfe oder Rat brauche. Nein, es kamen, kaum dass ich zu Hause war, Rechnungen, Zuzahlungsaufforderungen für den Krankentransport, den stationären Aufenthalt und die Hilfsmittel. Ich habe mich oft schon sehr gewundert, wenn ich zum Beispiel für meine Mutter Kontakt mit deren Krankenkasse aufnehmen musste, wie zäh die Abläufe dort sind, wenn der Versicherte oder Kunde etwas benötigt. Aber in die andere Richtung funktioniert es geradezu erschreckend schnell.

Nun werde ich die nächsten drei Wochen noch tapfer durchhalten und mein geschundenes Bein pflegen. Um es dann aber endlich wieder richtig krachen zu lassen – und sei es nur, um mit meinem Hund lange Spaziergänge zu machen.

In diesem Sinne

Ihre

Heidi Günther

guenther-heidi@web.de



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Article published online:
08 August 2022

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