Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2022; 29(04): 140
DOI: 10.1055/a-1865-3721
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Unn Klare
1   Behnkenhagen
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Ungeklärte Häufung akuter Hepatitis bei Kindern

Anfang April meldete Großbritannien einen Anstieg von schweren Leberentzündungen ungeklärter Ätiologie bei Kindern unter 10 Jahren. Normalerweise werden im Vereinigten Königreich etwa 20 solcher Fälle pro Jahr gemeldet, zu diesem Zeitpunkt waren es jedoch bereits 60.

Sensibilisiert durch die Nachricht aus Großbritannien meldeten bis Ende Juni 33 Staaten insgesamt 920 seit dem 1. Oktober 2021 aufgetretene Hepatitisfälle bei Kindern, auf die folgende Kriterien zutreffen: Die Patienten waren 16 Jahre oder jünger und litten unter einer schweren akuten Hepatitis mit erhöhten Leberenzymwerten (Aspartat-Transaminase (AST) oder Alanin-Aminotransaminase (ALT) über 500 IU /L), wobei Infektionen mit den Hepatitisviren A bis E ausgeschlossen werden konnten.

Die meisten Fälle wurden in den USA (305 Fälle bis Ende Juni) und dem Vereinigtem Königreich (267 Fälle) gemeldet, danach folgen Japan und Mexiko mit jeweils 58 und Spanien mit 39 Fällen. 78 % der betroffenen Kinder waren unter 6 Jahre alt. Zu den häufigsten Symptomen zählten Übelkeit und Erbrechen, Durchfall, entfärbte Stühle und Lethargie, seltener traten Fieber oder respiratorische Symptome auf. Bisher benötigten 45 der Patienten eine Lebertransplantation, bis Ende Juni wurden 18 Todesfälle gemeldet.

Über die Ursachen dieser Infektionen gibt es bisher zahlreiche Spekulationen. In der Regel scheint es keine epidemiologische Verbindung zwischen den einzelnen Fällen zu geben. Ein solcher Zusammenhang konnte bisher nur zwischen einzelnen Patienten in Schottland und auch zwischen Erkrankten in den Niederlanden festgestellt werden.

Vielfach wird ein Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie vermutet – so wurden in den USA 26 % der betroffenen Kinder vor der Hepatitiserkrankung positiv auf Corona getestet. Momentan wird versucht, bei den übrigen 74 % durch Antikörpertests festzustellen, ob sie möglicherweise ebenfalls unbemerkt eine Coronainfektion durchgemacht hatten.

Eine weitere Vermutung ist, dass die Erkrankungen durch Adenoviren in Zusammenspiel mit einem weiteren, noch nicht geklärten Co-Faktor ausgelöst werden: So wurden diese Viren in 55 % der europäischen und 45 % der US-amerikanischen Fälle durch PCR-Analysen nachgewiesen – oft allerdings nur in geringer Menge und bei etwa 50 % der Erkrankten eben auch gar nicht.

Das Einzige, was momentan mit relativer Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ist ein Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung: Nur eine Handvoll der betroffenen Kinder in Großbritannien war geimpft.

Aber nicht nur die Ätiologie dieser Fälle ist momentan unklar, strittig ist auch, ob es sich überhaupt um eine ungewöhnliche Häufung von Erkrankungen handelt: Während die britischen Gesundheitsbehörden klar von einem Anstieg der Zahlen in den vergangenen Monaten ausgehen, meldete die US-amerikanische Seuchenbehörde CDC dagegen Mitte Juni, dass zumindest in den USA die Zahl der ungeklärten Hepatitisfälle bei Kindern seit dem Jahr 2017 unverändert geblieben sei. Und auch auf dem europäischen Festland scheinen die Fallzahlen nicht ungewöhnlich hoch zu sein, wobei hier – wie auch in den anderen Regionen – die Daten fragmentiert und lückenhaft sind.

In einigen Staaten (wie Deutschland, Großbritannien und Israel) werden daher nun Ärzte gebeten, Hepatitisfälle ungeklärter Ätiologie bei Kindern zu melden. So will man den Ursachen der Erkrankungen auf die Spur kommen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
11. August 2022

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