Pneumologie 2022; 76(09): 595-596
DOI: 10.1055/a-1860-4862
Referiert – kommentiert

Kommentar

Contributor(s):
Christian Grohé

Welche Rolle spielt die Erhebung der Lungenfunktion bei der Risikoabschätzung kardiopulmonaler Erkrankungen? Die standardisierte Messung der statischen und dynamischen Lungenvolumina ist ein wichtiger Bestandteil zur Bestimmung obstruktiver und restriktiver Ventilationsstörungen und einer respiratorischen Insuffizienz. Mittels Standardparameter durchgeführte Bestimmungen erzeugen in einem Großteil der Analysen in einer Querschnittspopulation anscheinend unauffällige Parameter. Aber sind die erhobenen Parameter wirklich „normwertig“ oder bedürfen sie einer differenzierteren Betrachtung?

Die Arbeit von Wan et al. beschäftigt sich mit der Assoziation einer präzisierten Funktionsanalyse der Spirometrie (PRISm) mit bestimmten Krankheitsbildern. Dieser Funktionswert bestimmt die Ratio FEV1 zu FVC≥0,7 und der FEV1 < 80%; in der obstruktiven Auswertung der Spirometrie FEV1 zu FVC<0,7; und in der normalen Spirometrie >0,7 und FEV1≥80%. In einem Beobachtungszeitraum von über 40 Jahren und einem Langzeitverlauf >20 Jahren wurde bei einem ausgeglichenen Patientengut von männlichen und weiblichen Probanden untersucht, inwieweit der PRISm-Wert als Indikator einer kardiopulmonalen Morbidität dienen kann. Die Metaanalyse zeigt, dass bei über 53000 Probanden ein Anteil von 8,5% mit pathologischen PRISm-Werten per se gefunden wurde, in der obstruktiven Variante der Messbefunde 17,6% und für die „normale“ Spirometrie 73,9%. Die Prävalenz der PRISm-Befunde korrelierte eng mit einer erhöhten kardiopulmonalen Morbidität. Dabei waren insbesondere Überlappungen bei den obstruktiven Atemwegserkrankungen, aber auch bei den restriktiven Atemwegserkrankungen, zu erkennen.

Insgesamt scheint der Parameter interessant in der Folgeanalyse zu sein, wenn es um die Fragestellung möglicher lungenfunktionell schlecht fassbarer kardiopulmonaler Entitäten, wie zum Beispiel der Linksherz-Insuffizienz mit Lungenstauung geht. Hier sind die Werte der Lungenfunktion gemäß PRISm-Auswertung deutlich erhöht. In dieser Patientengruppe mit Herzinsuffizienz findet sich bisher häufig eine normale oder wenig eingeschränkte Lungenfunktion. Weiterhin zeigen sich pathophysiologisch relevante Muster einer Aufhebung der Restriktion und Obstruktion besser erklärbar, wie zum Beispiel bei der kombinierten pulmonalen Fibrose mit Emphysem (CPFE), die bisher als Entität durch eine unauffällige Lungenfunktion häufig schlecht charakterisierbar ist. Es ist vorstellbar, dass bestimmte Patientengruppen, die sich durch eine bisher „unauffällige Lungenfunktion“ darstellten, durch die PRISm-Analyse einer erweiterten kardiopulmonalen Diagnostik zugeführt werden, um diese Krankheitsbilder besser charakterisieren zu können.

Die detailliertere Analyse der Lungenfunktionsparameter mit entsprechender Spezifizierung von Fragestellungen erlaubt neue Aussagemöglichkeiten. Mithilfe eines nicht invasiven repetitiven und longitudinalen Untersuchungsmoduls sollte diese Auswertung möglicherweise Einzug halten – mithilfe von validierten prospektiven Endpunktstudien. Diese zu nutzen, dient der Verbesserung der Risikoabschätzung von Patienten mit den häufigen kardiopulmonalen bzw. kardiovaskulären Erkrankungen.



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Article published online:
14 September 2022

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