Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2023; 18(01): 17-20
DOI: 10.1055/a-1832-9481
Schritt für Schritt

Talushalsfraktur – Schritt für Schritt

Jochen Franke
,
Franz Holz

Schraubenosteosynthese

OP-Prinzip

Anatomische Wiederherstellung der Gelenkfläche (60% der Talusoberfläche) und stabile Schraubenosteosynthese mit der Möglichkeit der frühfunktionellen Behandlung.


#

Indikation

  • Wegen der mit einer stabilen Osteosynthese verbundenen Vorteile eher großzügige Indikationsstellung schon bei minimaler Dislokation. Dies gilt auch für Frakturen des Processus posterior tali (sog. Shepherd-Frakturen).

  • Auf die Sonderformen der osteochondralen Frakturen wird hier nicht weiter eingegangen. Notfallmäßig zu versorgen sind offene Talusverletzungen, alle nichtreponiblen Frakturen sowie Luxationsfrakturen.


#

Relative Kontraindikation

Höhergradiger Weichteilschaden.


#

Spezielle Patientenaufklärung

Verletzungsbedingte Gefahr der avaskulären Talusnekrose, die bei zentralen Frakturen und Luxationen mit bis zu 50% angegeben wird, posttraumatische Arthrose bis zu 68%, Pseudarthrosen bis 32% [1], [2].

Mögliche Zusatzeingriffe: Spongiosaentnahme am Beckenkamm, Notwendigkeit der Innenknöchelosteotomie.


#

OP-Planung

Planung der Vorgehensweise und der Zugangswege unter Berücksichtigung der Begleitverletzungen.

Röntgen des oberen Sprunggelenks in 2 Ebenen ([Abb. 1]), Computertomografie.

Zoom Image
Abb. 1a u. b Dislozierte Talushalsfraktur.
Zoom Image
Abb. 2 Klassifikation der Talusfrakturen nach Hawkins. a Typ I: unverschobene Talushalsfraktur. b Typ II: verschobene Talushalsfraktur mit anteromedialer oder anterolateraler Subluxation im unteren Sprunggelenk. c Typ III: Fraktur mit Dislokation des Taluskorpus nach dorsal und Subluxation im oberen und unteren Sprunggelenk nach posteromedial. d Typ IV: zusätzliche Verschiebung des peripheren Fragmentes im Talonavikulargelenk. (Quelle: Niethard F, Pfeil J, Biberthaler P. Einteilung. In: Niethard F, Pfeil J, Biberthaler P, Hrsg. Duale Reihe Orthopädie und Unfallchirurgie. 9., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2022. doi:10.1055/b000000573)

#

Spezielle Instrumente

2,5- und 3,5-mm-Bohrer, 4-mm-Spongiosaschrauben, Kirschner-Drähte der Stärke 1,6 – 2,0 mm, eventuell Kleinfragmentlochschrauben.

Mittelbreites Sägeblatt und ca. 3-cm-Meißel zur Durchführung einer Innenknöchelosteotomie, Cerclagesieb für spätere Zuggurtung.

Fixateur-externe-Sieb oder Distraktor in Reserve bei intraoperativen Repositionsschwierigkeiten, insbesondere bei Luxationsfrakturen.

Ggfs. C-Bogen mit der Option der dreidimensionalen Bildgebung.

Praxis

OP-Technik


Lagerung


Rückenlage, geteilte Beinplatte (ggf. Karbon), Oberschenkelblutsperre. Abstreichen des gesamten Beines, sterile Abdeckung.


Zugang


Die typische Inzision liegt anteromedial beginnend in Höhe des Gelenkspalts, im medialen Drittel nach distal-medial in flachem Bogen zum Os naviculare pedis verlaufend. Bei Bedarf kann die Inzision nach proximal-distal verlängert werden. Die weitere Präparation nimmt Rücksicht auf die V. saphena magna und den N. saphenus.


Durchführung


Präparation


Die Faszie wird ebenfalls leicht bogenförmig gespalten, Sehnen und Gefäß-Nerven-Bündel werden nach lateral weggehalten und die Gelenkkapsel wird zunächst in Höhe des oberen Sprunggelenks eröffnet und nach distal hin erweitert. Man erhält sofort einen guten Überblick über die vordere Trochlea, den Innenknöchelbereich sowie Hals- und Taluskörper. Die Gelenkkapsel des Chopart-Gelenks kann eröffnet werden.


Innenknöchelosteotomie


Stark dislozierte Trochleafragmente können ganz erhebliche Repositionsschwierigkeiten bereiten. In diesem Fall erfolgt nach Schnitterweiterung nach kranial das Abdrängen des dorsalen Gefäß-Nerven-Bündels und der Sehnen des M. tibialis posterior nach dorsal und die Innenknöchelosteotomie unter BV-Kontrolle exakt zum queren Gelenkspalt hin. Es ergibt sich jetzt ein breiter Einblick in das obere Sprunggelenk nach Herunterklappen des Innenknöchels. Kleine devastierte Knochen- und Knorpelfragmente werden verworfen. Bei instabiler Fragmentreposition erfolgt nun die temporäre Fixation des Repositionsergebnisses mit Kirschner-Drähten.


Verschraubung


Die Verschraubung erfolgt im Regelfall vom Caput tali aus. Nach Vorbohrung mit dem 2,5er-Bohrer erfolgt nach Längenmessung das Eindrehen der Spongiosaschraube mit kurzem Gewinde. Angestrebt werden 2 parallele Schrauben ([Abb. 3]). Größere Defekte werden vorher mit Spongiosa aufgefüllt.

Zoom Image
Abb. 3a u. b Stufenlose Reposition und Schraubenosteosynthese.

Wundverschluss


Nach Spülen des OP-Feldes und Einlegen einer Redon-Drainage schichtweiser Wundverschluss.


#

Tipps und Tricks

  • Innenknöchelosteotomie: Wegen des Sägesubstanzdefekts empfiehlt es sich, die Osteotomie mit dem Meißel durchzuführen. Stabilisierung der Osteotomie mit Schrauben oder typischer Zuggurtung. Falls Schrauben gewählt werden, können die Bohrlöcher bereits vor der Osteotomie angelegt werden, das erleichtert die spätere Reposition.

  • Zusätzliche Fragmente: Kleine Kantenfragmente oder frische osteochondrale kleine Fragmente können mit resorbierbaren Stiften, z. B. Polypin ggf. in Kombination mit Fibrinkleber refixiert werden. Auch versenkte 2,0-mm-Compact-oder Headless compression screws (HCS) sind möglich.

  • Schrauben: Kleinfragmentspongiosaschrauben mit durchgehendem Gewinde bieten eine bessere Möglichkeit der Implantatentfernung gegenüber Kleinfragmentspongiosaschrauben mit kurzem Gewinde, die beim Zurückdrehen häufig abbrechen und als Restimplantate belassen werden müssen. Deshalb empfiehlt es sich, die Kortikalis mit dem 3,5-mm-Bohrer aufzubohren.

  • In manchen Fällen ist ein von dorsal eingebrachter Steinmann-Nagel zur Reposition eines großen hinteren Korpusfragments hilfreich ([Abb. 4]). Bei sehr schwierigen Repositionen empfiehlt sich die temporäre Montage eines großen AO-Distraktors oder eines Fixateur externe, der jedoch mit 2 Steinmann-Nägeln im Kalkaneus verankert werden muss, um so über die Steuerung der Distraktion Raum zu schaffen ([Abb. 5]).

Zoom Image
Abb. 4a u. b Reposition eines großen hinteren Korpusfragments mittels perkutan eingebrachtem Steinmann-Nagel.
Zoom Image
Abb. 5 Bei schwieriger Reposition ist die temporäre Montage eines Fixateur externe hilfreich. Zur Steuerung der Distraktion werden 2 Steinmann-Nägel im Kalkaneus verankert.
  • Bei Bedarf sind auch anterolaterale oder dorsale Zugänge möglich.


#

Häufige Fehler und Gefahren

Auf paralleles Einbringen der Schrauben achten (Sperrwirkung bei schrägem Einbringen).


#

Alternativmethoden

Bei mehreren kleinen Fragmenten, die eine Schraubenverankerung nicht zulassen, muss ggf. auf eine adaptierende Kirschner-Draht-Osteosynthese ausgewichen werden.

Bei schwerem offenem oder geschlossenem Weichteilschaden ist eine temporäre Ruhigstellung im Fixateur externe bis zur definitiven Versorgung notwendig.

Nur bei nichtrekonstruierbarer Zerstörung des Taluskörpers ist die primäre oder frühsekundäre Arthrodese des oberen und unteren Sprunggelenks mittels Fixateur externe angebracht.

Eine primäre Astragalektomie sollte nicht durchgeführt werden; immer sollte primär eine Erhaltung angestrebt werden oder eine Arthrodese erfolgen.


#

Nachbehandlung

  • Postoperative Röntgenkontrolle (s. [Abb. 3]), Anlegen eines Unterschenkelrundgipses zur Spitzfußprophylaxe. Alternativ auch Anlage einer Orthesenschiene möglich.

  • Am 2. postoperativen Tag Ausschneiden eines Bewegungsfensters (Gips) und Beginn mit aktiven Bewegungen im oberen Sprunggelenk unter krankengymnastischer Anleitung, wenn keine Begleitverletzungen diesem entgegenstehen.

  • Nach Abschluss der Wundheilung bei stabil versorgten Frakturen funktionelle, ggfs. sogar gipsfreie Nachbehandlung.

  • Je nach Frakturmorphologie entweder 6 Woche Entlastung, in der 7. Woche 20 kg Teilbelastung und steigern um 10 kg/Woche. Oder Entlastung für 12 Wochen, danach zügige beschwerdeadaptierte Aufbelastung.

  • Röntgenkontrolle nach 2, 6 und 12 Wochen. Eine einsetzende Talusnekrose ist frühestens 6 Wochen postoperativ an einer relativen Knochenverdichtung bei Kalksalzminderung der Umgebung erkennbar.

  • Eine subchondrale Kalksalzminderung im fraglichen vitalen Fragment spricht für eine vorliegende Durchblutung ( sog. Hawkins-Zeichen).

  • Nach Implantatentfernung bietet die MRT eine gute Information zur Durchblutungssituation des Knochens oder einer eingetretenen avaskulären Nekrose.

  • Wegen der überwiegenden Sekundärschäden bei Langzeitentlastung und aufgrund der enormen Unsicherheit der Revaskularisierung durch langzeitige, über mehrere Monate anhaltende Entlastung kann diese heute nicht mehr empfohlen werden.


#

Ergebnisse

Bei früher Osteosynthese und funktioneller Nachbehandlung werden in bis zu 80% gute bis sehr gute Behandlungsergebnisse, insbesondere bei wenig dislozierten Frakturen, erzielt. Bei den Luxationsfrakturen kommt es häufig im Verlauf zu avaskulären Knochennekrosen, posttraumatischen Arthrosen und entsprechender Bewegungseinschränkung des oberen und unteren Sprunggelenks.

Zitierweise für diesen Artikel

Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2023; 18: 17 – 20
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels: Franke J, Holz F. Talusfraktur. In: Ewerbeck V, Wentzensen A, Grützner P et al., Hrsg. Standardverfahren in der operativen Orthopädie und Unfallchirurgie. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014: 590 – 593.


#

Publication History

Article published online:
09 February 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany