Allgemeinmedizin up2date 2023; 04(03): 235-250
DOI: 10.1055/a-1766-3725
Spezifische Patientengruppen

Pflegende Angehörige – erkennen, Probleme identifizieren, Lösungen finden

Robin John
,
Thomas Lichte
,
Marianne Schneemilch

Bei Multimorbiden, auch mit psychischen Komorbiditäten, werden bei Verschlechterung ambulante bzw. sogar stationäre pflegerische Maßnahmen erforderlich. Komplexe Situationen und oft sich verschlechternde Bedingungen für Pflegebedürftige und deren Angehörige benötigen individuelle Entlastungs- und Unterstützungsangebote. Hausärztliche Praxisteams kennen die schwierigen Betreuungs- bzw. Pflegesituationen und können so sinnvoll agieren.

Kernaussagen
  • Bei einer betreuungsbedürftigen Person sollten dem Hausarzt-Praxisteam sich kümmernde, versorgende bzw. pflegende An- bzw. Zugehörige bekannt sein.

  • Veränderungen in Bezug auf Pflegebedarf, Zustand der gepflegten Person und Beziehung in der Pflegefamilie können Signale für erhöhte Versorgungsnotwendigkeit sein.

  • Yellow Flags sind als Hinweise für evtl. entstehende Über- bzw. Belastungen zu sehen.

  • Red Flags sind – meist akute – Warnzeichen für abwendbar gefährliche Verläufe.

  • Um einen besseren Eindruck von der Belastung von pflegenden Angehörigen zu bekommen, kann – auch im Verlauf – gut und einfach die 10-Items umfassende Häusliche Pflegeskala (HPS) eingesetzt werden.

  • Häufig zu erwartende Konflikte können bei empathischem Vorgehen auch von Hausarztteams bspw. bei kritischen Pflegesituationen oder herausforderndem Verhalten der Gepflegten mit demenziellen Erkrankungen durch (Er-)Klärung der Ursachen verbessert werden.

  • Bei Veränderungen der Pflegesituation im ambulanten/stationären Setting eignen sich Familienkonferenzen sehr gut, um in der Gruppe der Beteiligten antizipierende Absprachen – auch schriftlich – festzulegen.

  • Bei wertschätzender Würdigung der bisherigen Tätigkeit der pflegenden Angehörigen sollten die Hausarztpraxis-Teams frühzeitig zur Nutzung von Hilfs- und Unterstützungsangeboten beraten. Diese Maßnahmen erscheinen auch relevant gegenüber Unterversorgung.

  • Bei pflegenden Angehörigen daran denken, dass es sich hier auch um „versteckte Patienten“ handeln könnte. Hier sollten Hausarztteams, die die gesamte Pflegefamilie versorgen, ein besonderes Augenmerk haben.



Publication History

Article published online:
22 August 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 The Princess Royal Trust for Carers and Royal College of General Practitioners. Supporting carers: an action guide for general practitioners and their teams. 2011 Accessed April 09, 2015 at: http://www.rcgp.org.uk/clinicaland-research/clinical-resources/carerssupport.aspx
  • 2 Carduff E, Finuance A, Kendall M. et al. Understanding the barriers to identifying carers of people with advanced illness in primary care: triangulating three data sources. BMC Fam Pract 2014; 15: 48
  • 3 Höppner C, Schneemilch M, Lichte T. Pflegende Angehörige und ihre Belastungen in Hausarztpraxen identifizieren – Hindernisse und Empfehlungen. Z Allg Med 2015; 91: 310-314
  • 4 Lichte T, Höppner C, Mohwinkel LM. et al. Pflegende Angehörige von Erwachsenen. S3-Leitlinie AWMF-Register-Nr. 053–006. 2018
  • 5 Gräßel E, Leutbecher M. Häusliche Pflege-Skala HPS zur Erfassung der Belastung bei betreuenden und pflegenden Angehörigen. Ebersberg: VLIESS-Verlag; 2001
  • 6 Lichte T, Perleberg K. Nähe und Distanz – Multimorbide, Nächste, Mitmenschen und Lebensräume als Beziehungsgeflecht. Analyse und Entwicklung. Niedersächs Ärztebl 2007; 80: 10-11
  • 7 Halsig N. Pflege in der Familie: Situation der Hauptpflegepersonen und Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Situation. In: Fischer GC. Qualitätskriterien der ambulanten medizinischen und pflegerischen Versorgung im Alter – Zusammenfassung und Ausblick. Gamburg: Verlag zur Gesundheitsförderung; 1994: 41-53
  • 8 Gräßel E. Warum pflegen Angehörige? Ein Pflegemodell für die häusliche Pflege im höheren Lebensalter. Geropsych 2000; 13: 85-94
  • 9 Bohnet-Joschko S, Bidenko K. Pflegende Angehörige: Hoch belastet und gefühlt allein gelassen. Dtsch Arztebl 2019; 116: 20-23
  • 10 Rothgang H, Müller R, Runte R. et al. Pflegereport 2018. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse. Berlin: Barmer; 2018
  • 11 Pinquart M, Sörensen S. Differences between caregivers and noncaregivers in psychological health and physical health: a meta-analysis. Psychol Aging 2003; 18: 250-267
  • 12 Lichte T, John R. Handbuch der Multimorbidität. 1. Aufl. In: Akker van den M, Muth C. Psychische Gesundheit und Multimorbidität. München: Urban Fischer & Elsevier; 2022
  • 13 Kalitzkus V, Steinhoff P, Wilm S. et al. Handlungsempfehlungen für den Einsatz von Familienkonferenzen im hausärztlichen Bereich – ein Scoping Review. Z Allg Med 2022; 98: 377-384
  • 14 Schneemilch M. Pflegende Angehörige in der Hausarztpraxis [Dissertation]. Magdeburg: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg; 2018
  • 15 Wangler J, Jansky M. What are the Needs and Experiences of Family Caregivers with regards to Primary Care?. Z Allg Med 2022; 98: 435-440