Nervenheilkunde 2022; 41(03): 193-195
DOI: 10.1055/a-1690-0290
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Timo Klan
,
Katharina Kamm
,
Ruth Ruscheweyh

Entzündliche Komplikationen von CGRP(-Rezeptor)-Antikörpern

*** Ray JC, Allen P, Bacsi A, et al. Inflammatory complications of CGRP monoclonal antibodies: a case series. The Journal of Headache and Pain 2021; 22: 121

Hintergrund

Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) ist ein multifunktionales Neuropeptid, das ubiquitär vorkommt und in der Migränepathophysiologie eine entscheidende Rolle spielt. Monoklonale Antikörper gegen CGRP und den CGRP-Rezeptor sind seit 2018 zur prophylaktischen Behandlung der Migräne zugelassen. Sowohl in randomisiert-kontrollierten Studien als auch open label und in Real-world-Studien zeigten diese Substanzen ein sehr günstiges Nebenwirkungsprofil. Aufgrund der Neuigkeit dieser Substanzklassen sind weitere Analysen nach Markteinführung jedoch sinnvoll. Da der CGRP-Signalweg auf vielfältiger Weise mit dem Immunsystem interagiert, ist die Analyse von möglichen immunologischen Nebenwirkungen von besonderer Bedeutung.


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Zusammenfassung

Es handelt sich um eine Fallserie über neu aufgetretene oder deutlich verschlechterte inflammatorische Syndrome in Zusammenhang mit einer CGRP(-Rezeptor)-Antikörpertherapie. Die Autoren berichten über 8 Fälle aus Kopfschmerzpraxen und -zentren in Irland und Australien in den Jahren 2019 und 2020. Die präsentierten Fälle umfassen ein breites Spektrum an inflammatorischen Komplikationen, die sich wie folgt zusammensetzen:

  • Ein 56-jähriger Mann mit bekannter rheumatoider Arthritis entwickelte eine Autoimmunhepatitis nach der ersten Erenumab-Behandlung.

  • Eine 67-jährige Frau ohne bekannte inflammatorische Erkrankungen wurde nach 12 Monaten Behandlung mit Erenumab mit einem Susac-Syndrom diagnostiziert.

  • Eine 44-jährige Frau ohne relevante Vorerkrankungen entwickelte ein DRESS-Syndrom (Drug Rash with Eosinophilia and Systemic Symptoms) nach einer Dosis Erenumab.

  • Eine 32-jährige Frau ohne relevante Vorerkrankungen wurde nach Therapie mit Erenumab (6 Monate) und Fremanezumab (5 Monate) mit Granulomatose mit Polyangiitis diagnostiziert.

  • Eine 20-jährige Frau mit bekannter IgG4-assoziierter Erkrankung entwickelte eine schwere generalisierte Polyarthralgie nach einer Dosis Galcanezumab.

  • Eine 45-jährige Frau mit bekannter Psoriasis zeigte eine schwere Exazerbation ihrer Erkrankung nach einmaliger Behandlung mit Galcanezumab.

  • Eine 41-jährige Frau mit bekannter Psoriasis-Arthritis entwickelte einen Krankheitsschub nach der ersten Erenumab-Behandlung.

  • Eine 46-jährige Frau ohne relevante Vorerkrankungen entwickelte Urticaria nach 18 Behandlungen mit Erenumab.

Allen Fällen gemeinsam ist der enge zeitliche Zusammenhang mit einer CGRP-(Rezeptor)-Antikörpertherapie, das Fehlen anderer eindeutiger Auslöser sowie die Besserung nach Beendigung der Antikörpertherapie, was einen kausalen Zusammenhang vermuten lässt. Für die Entstehung dieser entzündlichen Syndrome werden zahlreiche immunologische Mechanismen diskutiert. Insgesamt kommt durch CGRP zu einer Hemmung der angeborenen Immunität und Blockade von inflammatorischen Signalwegen. Eine Inhibierung des CGRP-Signalweges durch Antikörper könnte umgekehrt zu einer Hyperaktivierung entzündlicher Prozesse führen.


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Kommentar

Die Beobachtung von entzündlichen Komplikationen unter CGRP(-Rezeptor)-Antikörpern erscheint relevant aus pathophysiologischer als auch klinischer Sicht. Die präsentierten Fälle sind gut ausgearbeitet und ein Zusammenhang mit der Antikörpertherapie erscheint plausibel. Einige wesentliche Limitationen sollten jedoch berücksichtigt werden. Erstens handelt es sich um eine kleine Fallserie. Wenn man bedenkt, wie viele Patienten in 2 Ländern über 2 Jahre mit CGRP(-Rezeptor)-Antikörpern behandelt wurden, erscheint die Inzidenz solcher Komplikationen sehr gering und deren klinischen Relevanz fraglich. Zweitens ist hier die Kausalität nicht bestätigt und die Möglichkeit einer reinen Koinzidenz nicht ausgeschlossen. Drittens wurden die Diagnosen in der Hälfte der Fälle nicht durch eine Biopsie validiert, sondern lediglich klinisch gestellt. Die Inzidenz der beschriebenen immunologischen Komplikationen sollte in größeren Kohorten überprüft und bestätigt werden. Insbesondere Patientenregister werden in Zukunft für solche und ähnliche Fragestellungen an Bedeutung gewinnen.

Bianca Raffaelli, Berlin


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Publication History

Article published online:
03 March 2022

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