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DOI: 10.1055/a-1425-2615
Doppelkopf: Margit Schröer und Hermann Reigber
Margit Schröer
Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?
In meiner Tätigkeit als Lehrerin an einer Schule für Kinder und Jugendliche mit Körperbehinderungen (1970er-Jahre) wurde ich immer wieder mit dem Tod von Schüler*innen konfrontiert. Wir führten im Lehrerkollegium viele Gespräche darüber, begleiteten die betroffenen Eltern, sprachen auch im Unterricht bereits damals das Thema Sterben und Tod mit den Mitschüler*innen an. Wir entwickelten Fortbildungen zu diesem Themenkreis. Später, als leitende Psychologin/Psychotherapeutin in einer Klinik nahmen Sterben und Tod einen größeren Raum meines Engagements ein, gemeinsam mit Seelsorgenden habe ich sowohl in der Organisation (Schwerstkrankenzimmer mit Übernachtungsmöglichkeit für Nahestehende, besonders gestalteter Aufbahrungsraum) als auch der Weiterbildung für alle Mitarbeitenden der Klinik (inklusive Krankenpflegeschüler*innen und PJ-ler*innen) mit regelmäßigen 3-Tage-Fortbildungen in einem Bildungshaus und Supervisionsangeboten Impulse gesetzt. Meine besondere Aufgabe in der Neuropädiatrie war die Begleitung von Familien ab der Diagnose einer lebenslimitierenden Erkrankung bei einem Kind/Jugendlichen einschließlich der Trauerzeit. 1992 Mitbegründerin einer Hospizgruppe im Osten Düsseldorfs, bis heute im Vorstand dort. 2002 Mitbegründerin eines Klinischen Ethikkomitees im Krankenhaus, seit 2010 Mitglied in 3 Ethikkomitees.
Was wäre für Sie die berufliche Alternative?
Erst einmal keine – aber ich entwickle die Idee einer Bibliothek für Patienten und Menschen in Krisen aus „Büchern zum Überleben“ inklusive einem Angebot für Biblio- bzw. Poesietherapie.
Wie beginnen Sie Ihren Tag?
Immer neugierig auf den kommenden Tag sein! Nach dem Aufwachen kurze Besinnung mit Einstieg in den Tag. Dann gemeinsames Frühstück mit meiner Frau. Wir teilen uns die Tageszeitung und lesen uns gegenseitig wichtige Nachrichten vor, diskutieren sofort spannende Themen. Anschließend Tagesplanung. Dann gehtʼs – oft voller Tatendrang – los …
Leben bedeutet für mich …
dieses größte Geschenk wertzuschätzen. Offensein, immer wieder neue Erfahrungen machen. Eine alte Dame hat mir mal gesagt: „Meublez votre tête“. Und genau das tue ich, indem ich auf die Welt und die Menschen wissbegierig zugehe. Ich komme nie aus dem Staunen heraus und bin immer wieder verwundert, was das Leben für Überraschungen bietet. Eine heitere Grundstimmung und mein Humor sind meine Stützen im Alltag und helfen mir über Krisen hinweg … Von Erich Kästner stammt das Zitat: „Liebe das Leben und denk an den Tod.“ Ich versuche, das Leben jeden Tag zu genießen, um irgendwann angefüllt und erfüllt gehen zu können.
Sterben bedeutet für mich …
Vollendung meines Lebens, Übergang in ein anderes Leben. Da fehlen mir Worte, um es zu beschreiben, aber in Träumen habe ich meinen Tod bildhaft wahrgenommen. Ich hoffe auf die Begegnung und Erfüllung in Gott, wo alle meine Fragen beantwortet sind. Gleichzeitig bedeutet Sterben aber auch das Ende aller menschlichen Beziehungen, die mein Leben so wertvoll machen und für die ich unendlich dankbar bin. Von daher ist es auch ein schmerzhafter Prozess des Abschieds mit absoluter Einsamkeit. Trotzdem bin ich neugierig …
Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?
Ich möchte mehr Pflegende, Therapeut*innen, Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen, Seelsorger*innen usw. für die Ethik im Gesundheitswesen und ihre konkrete Anwendung in ethischen Fallbesprechungen begeistern. Und zusammen mit meiner Frau Seminare zu Poesie und Lyrik für Schwerkranke und Begleitende gemäß dem Zitat von Hilde Domin „Nur eine Rose als Stütze“ anbieten.
Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …
immer – wenn möglich – die positive Perspektive in Problemlagen und Krisen einnehmen, an mich glauben und nicht aufgeben, insbesondere bei Ideen, die ich verwirklichen will. Und dass mir Lesen in allen Lebenslagen hilft. Ohne Bücher könnte ich nur sehr schlecht leben.
Was würden Sie gern noch lernen?
Da gibt es noch einiges Reizvolles wie gute Haikus schreiben, den Drohnenführerschein machen und mit einer Drohne aus der Vogelperspektive die Natur zu fotografieren.
Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?
Aus meinem Glauben, aus der Liebe zu meiner Familie, aus den Beziehungen und Freundschaften zu vielen lieben Menschen und aus dem Lesen – Bücher sind für mich ein Fundus an Weisheit, Abenteuer, sie versetzen mich in andere Welten, verzaubern, wecken meine Fantasie, machen mir Mut, schenken mir Kraft und Trost, insbesondere Gedichte und poetische Texte. Außerdem höre ich sehr gerne Barockmusik, vor allem Johann Sebastian Bach, dabei kann ich wunderbar denken und werde inspiriert von dessen „überirdischer“ Musik.
Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?
Da gibt es 2 Menschen, mit denen ich gerne einen Abend verbringen würde, weil ich sie bewundere: natürlich mit Johann Sebastian Bach (wenn er nicht im Himmel ist, will ich dort auch nicht sein!), und mit Rose Ausländer, dieser wortgewaltigen Lyrikerin, die über Hoffnung, Liebe, Trauer, Leid, Glück wunderbare Gedichte schrieb, die ich so schätze und die 23 Jahre hier in Düsseldorf lebte.
Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …
Die Vorstellung finde ich nicht verlockend für mich.
Wie können Sie Herrn Reigber beschreiben?
Hermann verfügt über ein großes, breit gestreutes Wissen. Er ist sehr vielseitig interessiert – wir tauschen uns regelmäßig über Literatur und Musik aus. Ich erlebe in den Palliativ-Kursen, wie offen er auf Menschen zugeht, er ist dabei sehr kommunikativ und dennoch achtsam. Mit offenen Augen und Ohren lässt er sich auf neue Themen für die Christopherus Akademie ein. Er ist zugewandt, warmherzig, sehr gelassen und strahlt eine wohltuende Ruhe im „Gewusel“ von Seminaren aus. Ich schätze besonders seine große Lebenserfahrung und seinen tiefgründigen Humor und arbeite sehr gerne mit ihm zusammen.
Wie beenden Sie Ihren Tag?
Abends nehme ich mir Zeit, um den Tag noch einmal zu überdenken und schreibe Bemerkenswertes in ein Notizbuch. Anschließend lesen meine Frau und ich Romane, was oft in gegenseitiges Vorlesen ausartet, insbesondere lustige Stellen aus den verschiedenen Büchern werden wechselseitig zitiert. Zum Schluss kommt immer ein Gedicht, und einen Gedanken davon versuche ich in den Schlaf mitzunehmen.
Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?
Dass Jeff Bezos als reichster Mann der Welt mich fragt: „Kannst Du mir sagen, was ich mit all meinem Geld tun soll?“ Ich würde ihm dann sagen: „Starte ein Riesenprojekt, um den Hunger in der Welt nachhaltig zu bekämpfen und Bildung für alle zu ermöglichen!“
Verheiratet, 1 Sohn. Im „1. Leben“ war ich Lehrerin für Deutsch, Mathematik und Biologie, später an einer Schule für Körperbehinderte. Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoonkologin, Supervisorin, Ethikerin im Gesundheitswesen. Nach 30 Jahren als leitende Psychologin in einer Klinik bin ich seit einigen Jahren pensioniert. Inzwischen Autorin eines Modulhandbuchs und zahlreicher Artikel in verschiedenen Büchern über Palliative Care, Ethik und Todesanzeigen als auch in verschiedenen Zeitschriften zusammen mit meiner Frau. Mitherausgeberin des Leidfadens, der Fachzeitschrift für Krisen, Leid und Trauer. Referentin und Lehrbeauftragte für Palliative Care und Ethik im Gesundheitswesen.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
28. April 2021
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