neuroreha 2021; 13(02): 55
DOI: 10.1055/a-1402-5817
Gelesen und kommentiert

Gelesen und kommentiert

Sensorisches im Vergleich zu motorischem Training für die obere Extremität nach Schlaganfall

De Bruyn N, Saenen L, Thijs L et al. Sensorimotor vs. motor upper limb therapy for patients with motor and somatosensory deficits: A randomized controlled trial in the early rehabilitation phase after stroke. Frontiers in Neurology 2020; 11: 597666. doi:10.3389/fneur.2020.597666

Zusammenfassung

Ziele

Evaluation der unterschiedlichen Effekte von sensorischem bzw. motorischem Training für die obere Extremität nach Schlaganfall.


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Methodik

Design Untersucherverblindete, blockrandomisierte und kontrollierte Studie.

Ein- und Ausschlusskriterien Eingeschlossen wurden Patienten zwischen 18 und 80 Jahren nach erstem Schlaganfall mit einer Krankheitsdauer von maximal 8 Wochen und einem sensomotorischen Defizit in den Armen mit einem Punktwert von weniger als 52 von 57 Punkten, gemessen mit dem Action Research Arm Test (ARAT). Ausgeschlossen wurden Patienten mit anderen neurologischen bzw. muskuloskelettalen Erkrankungen, schweren kommunikativen oder kognitiven Störungen.

Interventionen Alle Patienten erhielten ihre individuelle Rehabilitation nach Schlaganfall und wurden einer von 2 zusätzlichen Therapien per Losverfahren zugeteilt. In der Experimentalgruppe erhielten die Patienten eine tägliche 30-minütige sensomotorische Therapie, basierend auf dem bereits publizierten SENSe-Ansatz sowie 30 Minuten eines neu entwickelten sensomotorischen Trainings mit sensorischen, integrierten, aufgabenspezifischen motorischen Übungen für die obere Extremität (wie z. B. über verschiedene Texturen mit der Hand gleiten oder verschiedene Flaschen mit unterschiedlichen Gewichten sortieren). In der zweiten Gruppe erhielten die Patienten tägliche 30-minütige motorische Übungen mit der nicht betroffenen oberen Extremität und 30-minütige aufgabenspezifische motorische Übungen, jedoch ohne spezifische sensorische Komponenten. Beide Gruppen erhielten somit insgesamt 16 Stunden zusätzlich zur individuellen Rehabilitation durchgeführte Therapien über einen Zeitraum von 4 Wochen.

Messungen Primärer Zielparameter war die Hand-Arm-Funktion, gemessen mit dem ARAT. Sekundäre Zielparameter beinhalteten den Fugl-Meyer-Test für die obere Extremität (FMA-UE), die Stroke Upper Limb Capacity Scale (SULCS), den ABILHAND-Fragebogen (ABIL) und somatosensorische Parameter wie das Erasmus modified Nottingham Sensory Assessment (Em-NSA), die Berührungsschwelle (PTT), den Texture Discrimination Test (TDT), zur propriozeptiven Diskrimination den Gelenkpositionstest (WPST) oder den Functional Tactile Object Recognition Test (fTORT). Alle Variablen wurden vor Studienbeginn und 4 Wochen danach erhoben.


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Ergebnisse

40 Patienten zwischen 62 und 76 Jahren im Mittel 39 Tage nach Schlaganfall: 22 Patienten in der sensomotorischen und 18 in der motorischen Gruppe. Zu Studienbeginn unterschieden sie sich bis auf das Alter und die Händigkeit nicht signifikant. Nach 4 Wochen Therapie und nach weiteren 4 Wochen Nachuntersuchung unterschieden sich die Ergebnisse in keinem der erhobenen Parameter im direkten Gruppenvergleich.


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Schlussfolgerung

Durch die motorische Therapie für die obere Extremität verbessern sich motorische Beeinträchtigungen stärker, als durch eine sensomotorische Therapie bei Patienten mit sensomotorischen Beeinträchtigungen in der Frührehabilitation nach Schlaganfall. Darüber hinaus verbessert bei diesen Patienten die integrierte sensomotorische Therapie möglicherweise nicht die somatosensorische Funktion und ist weniger effektiv für die motorische Erholung.


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Kommentar

Insgesamt zeigte sich eine erwartbare gute Erholung der leicht bis moderat motorisch eingeschränkten Patienten unter 16 zusätzlichen Therapiestunden für die obere Extremität. Im Gesamtergebnis ergaben sich bei keinem der Parameter eindeutige Gruppenunterschiede zugunsten der zusätzlichen sensomotorischen bzw. motorischen Therapie. Wahrscheinlich war die Studie zu klein, um auch geringere Effekte zwischen 2 Therapieoptionen zu entdecken. Andererseits waren die Unterschiede der Interventionen, der Kontrast der Therapien eventuell nicht groß genug, um Differenzen aufzudecken. Auch der Umfang von 16 zusätzlichen Therapiestunden scheint relativ gering, um eindeutige Verbesserungen der bereits guten Erholung der Patienten erreichen zu lassen.

Ein wenig überraschend ist die rigorose Schlussfolgerung der Autoren, welche die motorische Therapie favorisieren. Auf der Basis anderer Studien ist das sicherlich gerechtfertigt, jedoch geben die Daten der hier vorgelegten Studie (keine signifikanten Gruppenunterschiede) dazu keinen direkten Anlass. Es bleibt festzustellen, dass die vorliegende Studie bedeutsame Implikationen für zukünftige Studien geben kann, z. B. für die Fallzahlplanung und für die Planung stärkerer Kontraste im Vergleich von Therapien. Diese sehr interessante Pilotstudie zeigt allerdings (noch) keinen gesicherten Vorteil einer sensorischen bzw. motorischen Therapie nach Schlaganfall auf.

Autor

Prof. Dr. rer. medic. habil. Jan Mehrholz

Professor für Therapiewissenschaften

Studiengangsleiter Neurorehabilitation, MSc

SRH Hochschule für Gesundheit

University of Applied Health Sciences

Campus Gera

Neue Straße 28–30

07548 Gera

Deutschland


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
11. Juni 2021

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