Klin Monbl Augenheilkd 2021; 238(03): 302-310
DOI: 10.1055/a-1241-4489
Klinische Studie

Versorgungskomplexität beim primären Offenwinkelglaukom (POWG): Perspektiven zur Patientenauswahl in der mikroinvasiven Glaukomchirurgie (MIGS) mit Stents

Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
Christian Helbig
1   Institute of General Medicine, University Medicine Rostock, Germany
,
Anja Wollny
1   Institute of General Medicine, University Medicine Rostock, Germany
,
Attila Altiner
1   Institute of General Medicine, University Medicine Rostock, Germany
,
Annette Diener
1   Institute of General Medicine, University Medicine Rostock, Germany
,
Juliane Kohlen
1   Institute of General Medicine, University Medicine Rostock, Germany
,
Manuela Ritzke
1   Institute of General Medicine, University Medicine Rostock, Germany
,
Stefanie Frech
2   Clinic and Polyclinic for Ophthalmology, University Medicine Rostock, Germany
,
Rudolf F. Guthoff
2   Clinic and Polyclinic for Ophthalmology, University Medicine Rostock, Germany
› Institutsangaben

Zusammenfassung

Hintergrund Das primäre Offenwinkelglaukom (POWG) ist trotz der Weiterentwicklung von Therapiemöglichkeiten weltweit noch immer eine der häufigsten Ursachen für ein eingeschränktes Sehvermögen und kann bis zur Erblindung führen. Mikroinvasive Glaukomchirurgie (MIGS) mit Stents verfolgt das Ziel, den intraokularen Druck (IOD) als Hauptrisikofaktor zu senken sowie die Medikamentenlast für PatientInnen mit Blick auf Adhärenz und unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu reduzieren. Die Studie untersucht unter Alltagsbedingungen, nach welchen Kriterien AugenärztInnen in Deutschland PatientInnen für die MIGS mit Stents auswählen. Zudem wird der Frage nachgegangen, welche PatientInnen am meisten von der Therapie profitieren (könnten).

Material und Methoden In dieser qualitativen Studie wurden zwischen Mai 2017 und Juli 2018 11 narrative Interviews mit in der Klinik arbeitenden und niedergelassenen AugenärztInnen zu ihren Erfahrungen in der Versorgung des POWGs mit Mikrostents geführt. Die Interviews wurden in einer interdisziplinären Analysegruppe mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet.

Ergebnisse Die Stufen der Therapieeskalation bilden den Bezugsrahmen für die Patientenauswahl in der MIGS mit Stents. Erst wenn sich der IOD durch die Tropfentherapie nicht ausreichend senken lässt oder diese für die PatientInnen nicht tolerierbare Arzneimittelnebenwirkungen verursacht, kommen Stents scheinbar als nächsthöhere Eskalationsstufe zum Einsatz. Die intensive postoperative Medikation und die gehäuften Kontrolltermine werden von den Interviewten insbesondere für beeinträchtigte, auf externe Hilfe angewiesene und/oder in ländlichen Regionen lebende Personen als Barrieren wahrgenommen. Die aktive Mitarbeit der PatientInnen in der anspruchsvollen Nachsorge ist für die ÄrztInnen offenbar unerlässlich. Zudem seien notwendige Revisionen patientenseitig (physisch/psychisch) und arztseitig (arbeitsorganisatorisch/therapeutisch) mitunter belastend. Vor dem Hintergrund der organisatorischen und ökonomischen Herausforderungen im ambulanten Aufgabenspektrum scheinen insbesondere niedergelassene ÄrztInnen sorgfältig abzuwägen, welchen PatientInnen sie eine Mikrostenttherapie zumuten könnten.

Schlussfolgerung Angesichts der Therapieanforderungen scheint die gegenwärtige Mikrostenttherapie bei einer selektierten, adhärenten Patientengruppe eingesetzt zu werden. Weitere qualitative und quantitative Untersuchungen (in anderen Versorgungsregionen und -strukturen) sind zur Überprüfung und Erweiterung der vorliegenden Ergebnisse angezeigt.



Publikationsverlauf

Eingereicht: 28. April 2020

Angenommen: 10. August 2020

Artikel online veröffentlicht:
30. November 2020

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