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DOI: 10.1055/a-1209-4195
„Herr Doktor haben Sie nicht was Stärkeres“. Doppelverordnungen und Wirkdauer von Inhalativa bei COPD-Patienten in der pneumologischen Praxis
Doppelverordnungen z. B. von inhalativem Kortison und langwirksamen Betamimetika ICS/LABA und langwirksamen Betamimetika und langwirksamen Anticholinergika LABA/LAMA beim gleichen Patienten kommen nur bei 1 % der Patienten in einer kürzlich veröffentlichten Studie vor [1]. Diese Studie untersuchte aber nur die Datenbank einer großen Versandapotheke, und dies kann zu einem methodischen Bias geführt haben, denn nicht alle Verordnungen werden erfahrungsgemäß bei der gleichen Versandapotheke eingereicht. Auch sagt die bloße Verordnung noch nichts über Wechsel des Therapiekonzeptes, Arztwechsel oder Unverträglichkeiten aus, die alle zu scheinbarer Doppelverordnung führen können. Auch werden erfahrungsgemäß Versandapotheken und Vor-Ort-Apotheken parallel benutzt. Zugegeben, die Vielfalt der Inhalatoren und die Vielzahl der Kombinationen und insbesondere die nicht einheitliche Farbgebung der Inhalatoren führt Ärzte wie Patienten in die Verwirrung. Die Farbe Blau für schnellwirkende Betamimetika, Grün für Anticholinergika und Rot für inhalatives Kortison wird leider nicht mehr konsequent von den Firmen benutzt. Dies führt zu Fehlverordnungen, die leider von der Regulierungsbehörde nicht als eklatante Sicherheitslücke angesehen werden. Es gibt aber auch bewusste Doppelverordnungen, die von Fachleuten nicht versehentlich, sondern wissentlich eingesetzt werden.
In meiner pneumologischen Praxis gibt es COPD-Patienten, die mit der „normalen“ Dosis LABA/LAMA oder LABA/LAMA/ICS nicht hinkommen. Oftmals kommen die Patienten mit dem gezielten Wunsch nach „etwas Stärkerem“, und meist haben sie schon von alleine versucht, die Dosis ihrer bisherigen Inhalativa zu steigern. Eine ganze Reihe von Nebenwirkungen kann dann die Folge sein, vermehrt Pneumonien unter ICS oder mehr Exazerbationen unter LABA/LAMA, Sehstörungen, trockener Mund etc. [2] [3]. Aber die Patienten empfinden Luftnot, und in ihrer Verzweiflung riskieren sie alles, auch selbständige Anwendungen von Doppelverordnungen. Es gibt nicht wenige Patienten, die in ihrer Verzweiflung einen massiven Abusus mit schnellwirksamen Betamimetika (z. B. 20 Hub Berodual am Tag ist keine Seltenheit) betreiben. Sie merken, dass ihnen das akut hilft, also wenden sie es in immer höheren Dosen an und analog dann auch die LABA/LAMA-Kombinationen.
Eine zweite Motivation für Doppelverordnungen hat eine ärztliche Sicht. Ultibro ist z. B. in den USA als Ultibron in einer geringeren, aber 2 × täglichen Dosis auf dem Markt. Die Zusicherung der Hersteller, dass langwirksame Kombinationspräparate auch 24 Stunden wirken, besteht nicht immer den Praxistest. Viele Patienten berichten von einem Wirkungsverlust am Abend, wenn sie die LABA/LAMA-Kombination morgens inhalieren. Dies gilt auch für andere LABA/LAMA-Kombinationen, wie z. B. Spiolto.
In der Folge greifen auch Pneumologen schon mal bewusst zu Doppelverordnungen oder zu einer höheren Dosis als im Label claim empfohlen bzw. höher als der Zulassung entspricht. Ich habe meine Verordnungen bei 1537 COPD-Patienten im Zeitraum vom 1. 4. 2019 bis 31. 3. 2020 auf absichtliche Doppelverordnungen überprüft und 35 Patienten (2,2 %) mit absichtlichen mehrfachen Verordnungen von LABA oder LABA/LAMA etc. gefunden.
19 Patienten hatten eine Verordnung von Ultibro und brauchten meist noch abends zusätzlich Formoterol ([Tab. 1]). Bei 14 Patienten mit Spiolto war es ebenso ([Tab. 2]). Aber ich habe auch jeweils einen Patienten mit Duaklir und Foster und einen mit Foster und zusätzlich Forair. Alle diese Patienten sind selbstverständlich erstmal leitliniengerecht behandelt worden. Sie sind aber mit dieser Therapie nicht zurechtgekommen. Die Luftnot der Patienten wurde nicht ausreichend gebessert. Die Patienten nutzten oft die SABA-Notfallmedikation bis zu 20 Hub/Tag und wurden dann von mir, in mehreren Schritten, versuchsweise auf verschiedene LABA/LAMA und teilweise auch Trippel-Therapie umgestellt. Letztlich aber war die Tripple-Therapie dann meist nicht so erfolgreich, wie die freie Kombination von einer LABA/LAMA-Kombination mit zusätzlich Formoterol. Das ist letztlich die Kombination, die bei den meisten dieser zugegeben schwierigen und schwerkranken Patienten als letzte Rettung einigermaßen wirkt. Natürlich ist das off label und natürlich ist das nicht erste Wahl, aber es ist leider öfter notwendig, als man sich das nach der Lektüre von Leitlinien vorstellen mag. Und selbstverständlich erhalten alle diese Patienten gehäuft orale Kortison-Stoßtherapien, Atemtherapie, DMP-Schulung, Device-Schulung, Reha und wenn nötig Sauerstoff-Langzeittherapie. Gerade aber um die gehäuften systemischen Kortisontherapien zu vermeiden, die immer dann nötig werden und in den Ambulanzen der Kliniken angewendet werden, wenn die Luftnot der Patienten unerträglich wird, ist die Ausreizung der inhalativen Therapie sinnvoll. Dies führt manchmal zu ungewöhnlichen Kombinationen, die ein Aufnahmearzt in der Klinik nicht immer versteht, weil sie nicht leitliniengerecht ist. Die aber vom behandelnden Pneumologen nach langer Tüftelei als beste Therapie unter den gegebenen Umständen herausgefunden wurden. Was natürlich nicht bedeutet, dass man es nicht noch besser machen kann. Oft hilft aber in solchen Situationen der kurze Anruf beim vorbehandelnden Kollegen in der Praxis, um solche scheinbaren Widersprüche aufzuklären. Die Kollegen in der Klinik kennen ja kaum noch Asthma. Und die praktische Therapie der COPD im Verlauf, außerhalb von Exazerbationen, ist auch eine Angelegenheit, welche Klinker nur theoretisch aus den Leitlinien kennen [4]. Leitlinien jedoch sind Empfehlungen, die sich in der Praxis bewähren müssen. „The proof of the pudding is in the eating.“
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
11. September 2020
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
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Referenzen
- 1 Kardos P, Geiss F, Simon J. et al. Duplicate Prescriptions of inhaled Medications for Obstructive Lung Disease. Pneumologie 2020; 74: 149-158
- 2 Langham S, Lewis J, Pooley N. et al. Single-inhaler triple therapy in patients with chronic obstructive pulmonary disease: a systematic review. Respir Res 2019; 20: 242 DOI: 10.1186/s12931-019-1213-9.
- 3 Maqsood U, Ho TN, Palmer K. et al. Once daily long-acting beta2-agonists and long acting muscarinic antagonistis in a combined inhaler versus placebo for chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database Syst Rev 2019; 6: 3 DOI: 10.1002/14651858.CD012930.pub2.
- 4 Herkenrath S, Mülleneisen N, Treml M. et al. Unterschiedliche Häufigkeiten pneumologischer Krankheitsbilder in der ambulanten und stationären Medizin. Pneumologie 2019; 73: 219-224