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DOI: 10.1055/a-1056-8586
Kongressbericht Mikronährstoff-Symposium
Am 12.Oktober 2019 fand in der Medizinischen Klinik I in Herne das 1. Mikronährstoff-Symposium im Ruhrgebiet statt. Die ausverkaufte und erfolgreiche Veranstaltung im Kongresszentrum des Klinikums wurde von der Akademie für Mikronährstoffmedizin und dem St. Anna Hospital in Kooperation veranstaltet.
Prof. Dr. med. Klaus Kisters (Herne), Prof. Dr. Lutz Schomburg (Berlin), Dr. med. Peter Holzhauer (München) und Dr. med. Hans-Peter Friedrichsen (Freiburg) u. a. zählten zu den Referenten, die mit ihren praxisorientierten Vorträgen begeistern und überzeugen konnten. In einer Auswahl der wichtigsten Abstracts der Vorträge möchten wir im Folgenden das Symposium kurz zusammenfassen.
Kardioprotektion durch Ernährung und Mikronährstoffe
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind immer noch die häufigste Todesursache in Deutschland, gefolgt von bösartigen Tumorerkrankungen. Mit 18,5 Mrd. Tagesdosen machten Herz-Kreislauf-Medikamente in 2013 fast die Hälfte aller Arzneimittelverordnungen aus (Statistisches Bundesamt). Der stetige Anstieg der Herzinfarktrate in den USA nach dem 2. Weltkrieg löste bei den verantwortlichen Politikern in den 1950er-Jahren den „War against Heart Attack“ aus. Man wollte den Herzinfarkt wie eine infektiöse Epidemie bekämpfen und suchte einen entsprechenden Auslöser, den man im Fett und insb. im Cholesterin sah. Die 7 Countries Study von Ancel Keys, die Framingham Heart Study und die MRFIT Study werden auch heute noch als wissenschaftlicher Beleg für die ursächlichen Zusammenhänge zwischen gesättigten Fetten / Cholesterin und Arteriosklerose / Herzinfarkt angeführt, obwohl die Daten dieser Studien diese ursächlichen Zusammenhänge bei genauerer Betrachtung gar nicht belegen. So konnte Anderson 1987 zeigen, dass eine jährliche Reduktion des Cholesterinspiegels innerhalb von 18 Jahren die kardiovaskuläre Mortalität um 14 % erhöht.
Obwohl große Metaanalysen mit mehr als 150 000 Patienten gezeigt haben, dass die Einnahme von cholesterinsenkenden Statinen zwar die LDL-Spiegel senkt, aber das absolute Risiko für die kardiovaskuläre Mortalität nur um 1 % bzw. um 1 Ereignis pro 1428 Personenjahre reduziert, gilt die Cholesterinsenkung immer noch als wesentlicher präventiver Ansatz zur Senkung des Herzinfarktrisikos. In den letzten Jahren haben sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf die Auslöser, die Pathomechanismen und die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen immer stärker durchgesetzt. Heute gilt bei unabhängigen Wissenschaftlern und aufgeklärten Ärzten v. a. der übermäßige Genuss von Zucker und einfachen Kohlenhydraten als wesentliche Ursache für die entzündlichen Prozesse, die neben vielen anderen chronischen Gesundheitsstörungen auch den kardiovaskulären Erkrankungen zugrunde liegen.
Die ursächlichen Zusammenhänge zwischen Ernährung / Nährstoffversorgung und kardiovaskulären Erkrankungen sind heute wissenschaftlich gut belegt. Dies zeigt auch der Vergleich verschiedener Ernährungsformen wie Mittelmeerkost, DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension), traditionelle japanische Kost o. ä. mit der westlichen Industriekost. Mittelmeerkost, DASH-Diät oder auch vegetarische Ernährung zeichnen sich durch niedrige Blutspiegel von proinflammatorischen Parametern wie CRP, Interleukin oder TNF-α bei ihren Konsumenten aus, wohingegen eine typische westliche Diät häufig Zeichen einer niedrigschwelligen, chronischen Entzündung zeigt. Die verschiedenen gesunden Diätformen zeigen Gemeinsamkeiten wie: hohe Zufuhr von Pflanzenfasern, frischem Obst und Gemüse, Vollkorn, Fisch, naturbelassenen Pflanzenölen und daraus resultierend eine gute Versorgung mit Antioxidanzien, gesunden Fetten, Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen wie Polyphenolen. Daher haben Konsumenten dieser gesunden Ernährungsformen auch ein deutlich niedrigeres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen.
Die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen den Makro- (Kohlenhydrate, Fett, Protein) und Mikronährstoffen sowie den verschiedenen metabolischen Prozessen, die zu einer kardiovaskulären Erkrankung führen, sind wichtige Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Prävention und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Dr. med. Hans-Peter Friedrichsen (Freiburg)
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Praxisbeispiele aus der supportiven Onkologie
Im Rahmen des Vortrags wurden wichtige supportive Behandlungsmöglichkeiten mit dem Fokus auf das Repertoire der Komplementär- und Mikronährstofftherapie vorgestellt. Diese wurden unmittelbar aus der täglichen onkologischen Praxis präsentiert, entweder als Falldarstellungen oder als Konzepte zum Management von unterschiedlichen Nebenwirkungsspektren der medikamentösen Tumortherapie. Dabei wurden neben neueren onkologischen Substanzen mit ihren Wirkungsweisen auch das Management ihrer Besonderheiten vorgestellt, so z. B. eine Kasuistik, die den Verlauf einer autoimmunen Pneumonitis unter Therapie mit Checkpoint-Inhibitor bei einer Patientin mit metastasierendem NSCLC präsentiert.
Auch beim Mammakarzinom konnten sich in den letzten Jahren zahlreiche innovative, zielgerichtete Medikamente – wie die Klasse der CDK 4 / 6-Inhibitoren beim metastasierenden, HER2-negativen, hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom – als effektive, zugelassene Therapieoptionen etablieren. Neben der Erläuterung der Wirkungsweise wurde auch auf das Nebenwirkungsmanagement der wichtigsten adverse effects wie Fatigue und Neutropenie eingegangen.
Schon seit Jahren wird beim metastasierenden Ovarialkarzinom eine effektive Erhaltungstherapie nach Ansprechen auf eine platinhaltige Chemotherapie gesucht. Jetzt konnte sich mit insges. 3 zugelassenen Substanzen aus dem Bereich der PARP-Inhibitoren, die in die komplexen DNA-Reparaturmechanismen von Tumorzellen eingreifen, die vorher durch Chemotherapie mit Platinsubstanzen erfolgreich vorbehandelt wurden, eine neue Maintenance-Therapie etablieren. Auch das Management der komplexen und häufig sehr belastenden medikamentös induzierten Polyneuropathie (CIPN) wurde durch neue und wirkungsvolle Therapieoptionen aus den Bereichen der endogenen Cannabinoide, Hanföl und diversen Fettsäuren ergänzt. Daneben stehen auch weiterhin die bekannten Substanzen aus dem Bereich der Mikronährstoffe wie Benfotiamin, L-Carnitin und α-Liponsäure zur Verfügung.
L-Carnitin und Vitamin C hochdosiert und infusional sind in der supportiven Komplementärmedizin bewährte und effektive Therapieoption bei tumorinduziertem Fatiguesyndrom.
Selen als Natriumselenit supportiv / interventionell in pharmakologischer Dosierung begleitend zur Strahlentherapie einsetzen? Mittlerweile ist Natriumselenit aus der onkologischen Intervention nicht mehr wegzudenken. Zum Abschluss beschrieb eine weitere Falldarstellung ein Worst-Case-Szenario als akutes Koronarsyndrom, aufgetreten unter modifiziertem FOLFIRINOX und supportiver G-CSF Gabe, bei einer kurativ adjuvant behandelten jungen Patientin mit Pankreaskarzinom.
Dr. med. Peter Holzhauer (München)
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Interaktion des Spurenelements Selen mit Diabetes, Schilddrüsen- und kardiovaskulären Erkrankungen
Das Spurenelement Selen (Se) ist für den Menschen essenziell, d. h. eine unzureichende Zufuhr ist mit Krankheitsrisiken assoziiert. In experimentellen Modellen einer gestörten Selenhomöostase zeigen sich Entwicklungs- und Stoffwechselstörungen nebst neuronalen und muskulären Defiziten. Es gibt eine kleine Anzahl genetischer Erkrankungen, die zu einer gestörten Selenoprotein-Biosynthese führen, bei denen sich viele dieser Defekte im Menschen widerspiegeln; im Besonderen bei Kindern mit Mutationen im sog. SECIS-bindenden Protein 2, bei denen ein generell reduzierter Selenstoffwechsel vorliegt. Das Fehlen der Dejodasen bedingt eine Störung der Schilddrüsenachse, die geringe Expression von Glutathionperoxidasen führt zu einer erhöhten Empfindlichkeit der Haut gegenüber UV-Stress und männlicher Infertilität, der Selenoprotein-N-Mangel stört die Entwicklung der Muskulatur, und die geringe Expression des Selentransporters Selenoprotein P beeinflusst die Gehirnentwicklung, den Stoffwechsel, die Knochenqualität und den systemischen Selenstatus.
Diese Erkenntnisse werden zunehmend auch in großangelegten prospektiven klinischen Studien bestätigt. Eine ausreichende Selenaufnahme ist mit einem reduzierten Risiko für Schilddrüsenerkrankungen, bes. für Thyreoiditis, und vermindertem Krebsrisiko, insb. für Darm- und Leberkrebs assoziiert. Ein Selenmangel oder ein gestörter Selenmetabolismus, z. B. durch eine chronische Entzündung, eine genetisch ungünstige Prädisposition oder ein ungünstiges Ernährungsprofil, führen zu einem Mangel des Selentransporters Selenoprotein P. Dieses Protein dient als aussagekräftigster Biomarker des Selenstatus.
Unsere neuesten Studienergebnisse [1] zeigen die hohe Relevanz dieses Selentransporters für das kardiovaskuläre Risiko. Gesunde Mitbürger mit einer geringen Selenoprotein-P-Expression (das untere Quintil) zeigten deutlich mehr kardiovaskuläre Ereignisse und Todesfälle als die Mehrheit der Bevölkerung mit gutem Selenstatus. Nun fehlen noch ausreichend große Interventionsstudien, um zu verstehen, ob und wie eine erhöhte Selenaufnahme diese Gesundheitsrisiken zu senken vermag. Bis solche Ergebnisse vorliegen erscheint es überaus ratsam, einen ausreichend hohen Selenstatus anzustreben, um sich nicht diesen vermeidbaren Risiken auszusetzen. Das gilt im Besonderen für die Risikogruppen eines Selenmangels, also sich einseitig ernährende, schwangere, chronisch erkrankte oder genetisch prädisponierte Menschen.
Prof. Dr. Lutz Schomburg (Charité, Berlin)
Literatur
[1] Schomburg L, Orho-Melander M, Struck J et al. Selenoprotein-P Deficiency Predicts Cardiovascular Disease and Death. Nutrients 2019; 11 (08). pii: E1852. doi: 10.3390/nu11081852
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
20. Januar 2020
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York